Heute jährt sich ein persönlicher Meilenstein zum zweiten mal. Vor fast auf den Tag genau zwei Jahren saß ich, so wie dieses Wochenende, mit meiner Frau zusammen an unserem traditionellen Linux Merchandising Verkaufsstand bei der Open Rhein Ruhr (ORR) in Oberhausen. Heute sitze ich hier, bin ausgeglichen und glücklich, mit der Welt und mir im Reinen und betrachte die Welt und die Leute darin mit offenen Augen und offenem Herzen. Das war vor zwei Jahren nicht so.
Vor zwei Jahren ging es mir nicht gut. Körperlich war eigentlich alles in Ordnung, aber mit mir war etwas nicht in Ordnung. Innere Unzufriedenheit, Zerrissenheit, fehlendes persönliches Glück und, tja, große Ratlosigkeit. Ich wusste recht sicher, dass dies etwas mit meinem trans* Sein zu tun hat, doch was genau und vor allem, was eine mögliche Lösung sein könnte, war alles andere als wirklich klar. Klar war nur, so konnte es keinesfalls weitergehen. Es gab viele auslösende Momente, die bis dahin führten, doch damals kulminierte es endgültig und ich wurde bereit, für eine Veränderung auch Verluste in Kauf zu nehmen.
Vor zwei Jahren schrieb ich dann eine laaange eMail an meine Frau. Sie wusste ja von alledem bereits, aber ich musste ihr mitteilen, dass ich Veränderungen brauchte, um irgendwie weitermachen zu können. An dieser Mail schrieb ich beide Tage der ORR und schickte sie am Abend kurz vor Abbau ab. Sie hatte bereits bemerkt, dass ich da etwas langes schrieb und das es schon etwas Ernsteres war – sie durchschaut mich einfach, ich kann nur schwer etwas vor ihr verheimlichen. Ich sagte ihr aber, dass sie bitte bis zum Abend warten müsse, ich sei eben noch nicht damit fertig.
Ich war sehr nervös, die Mail abzuschicken, aber jetzt konnte ich kaum noch anders. Im Prinzip stieß ich darin alle Türen weit auf und schloss nichts mehr aus. Dies musste meine Partnerin zwangsläufig verunsichern und ich kann ihr das keinesfalls verübeln – wenn Dir Dein Partner mitteilt, vielleicht doch, aber vielleicht auch nicht, die geschlechtliche Rolle zu wechseln, dann laufen ganz automatisch ganz viele Filme ab. Sie las noch im Auto die eMail, obwohl sie normalerweise während der Fahrt nicht gerne liest, ich fuhr. Nach wenigen Minuten kullerten die ersten Tränen, ich begann mir Sorgen zu machen.
Doch großartig wie sie nunmal ist, war es nicht die Sorge vor der Zukunft, die sie jetzt so betrübte, sondern eher, dass ich aus Angst vor Konsequenzen so lange nicht offen sein konnte.
An diesem Wochenende fiel der Startschuss für Veränderung, der 7.11.2013. Das ist nun gerade einmal zwei Jahre her. Zwei Jahre, klingt lang und kurz zugleich. Zwei Jahre in der Entwicklung eines Kindes sind eine halbe Ewigkeit, zwei Jahre bei Erwachsenen mittleren Alters vergehen im Nu. Was sind zwei Jahre Transition?
Es sind viele Ebenen, auf denen ich dies betrachten muss. Mit dem Entschluss zur Bereitschaft für Veränderungen, festigte sich die Sicherheit über mein Ich und mögliche Wege und Veränderungen. Mit den Outings wuchs die Freiheit und mit dem offenen Leben seit Mai 2014 begann die Person Nicole zu wachsen. Retrospektiv weiß ich heute, dass ich damals Mitte Mai noch nicht vom Stand weg die Nicole war, die heute durch die ganze Welt zieht – und wahrscheinlich wird diese Entwicklung andauern, bis ich diese Welt dereinst verlassen werde, was aber hoffentlich in noch sehr ferner Zukunft liegt.
Da gab es noch so viele erste male, die es zu erleben und zu probieren galt, soviele Situationen neu zu erleben, zu vielen Dingen neue Positionen zu entwickeln, neue Einstellungen, neue Haltungen, ein neuer Stil – kurzum, eine neue Person musste sich entwickeln. Nicht weil ich alles alte über Board werfen wollte, ganz gewiss nicht. Aber es passiert einfach zwangsläufig, denn vieles Erlernte und Gewohnte passt nicht mehr. Zudem eröffnet die neu gewonnen Freiheit auch neue Freiräume, die man ersteinmal langsam für sich entdecken und einnehmen kann.