In jüngerer Vergangenheit, gerade im Zusammenhang mit der Gründung des Bundesverband-Trans* und der nun ins Leben gerufenen Landesarbeitsgemeinschaft-Trans* (LAG Trans* NRW) wird, von immer den gleichen Gruppen und Personen, sehr lautstark Kritik geübt. Einer der Hauptkritikpunkte ist immer wieder, dass die speziellen Themen und Probleme von transsexuellen Menschen damit unter den Tisch gekehrt würden, transsexuelle Menschen damit in ihrer speziellen Lage unsichtbar gemacht oder in einen Topf mit allen Trans* geworfen würden. Immer wieder ist auch von dem Aufheben der binären Geschlechtergrenzen die Rede oder das Geschlecht gar völlig abgeschafft werden solle und das Trans* mit dafür sorgen würde.
Zunächst einmal ist jede solche Verallgemeinerung problematisch. Nur weil man eine geschlechtliche Vielfalt anerkennt, bedeutet das doch im Umkehrschluss nicht, dass man die Binarität ausschließen würde. Natürlich gibt es weiterhin Männer und Frauen, warum denn auch nicht? Und auch Männer und Frauen mit einer transsexuellen Vergangenheit oder wie auch immer sie sich selbst beschreiben möchten. Das bleibt doch jedem nach wie vor völlig unbenommen?
Jahrzehnte lang haben auch andere Gruppen genau diese Streitigkeiten um Abgrenzungen geführt und am Ende feststellen müssen, dass es als streng definierte und abgegrenzte Einzelgrüppchen nicht vorwärts geht. Sie fanden sich daher trotzdem zusammen, unter einem Dach und suchten lieber Gemeinsamkeiten, statt Differenzen. Das ist bei ganz vielen Gruppen so, die gemeinsam etwas erreichen möchten. Schauen wir uns alleine mal die öffentlich sichtbaren Auseinandersetzungen innerhalb der politischen Parteien an. Da ist niemand wie der_die andere und alle würde sich vehement dagegen wehren, nur mit dem Parteiprogramm oder nur mit einem_einer anderen Parteikolleg_in gleichgesetzt zu werden. Natürlich sind sie alle unterschiedlich und haben mehr oder weniger große Differenzen zur großen Linie der Gruppe. Aber dennoch gibt es mehr Übereinstimmungen als Differenzen und deshalb bleiben sie unter ihrem gemeinsamen Dach.
Was könnten gemeinsamen Ziele, einer größer gefasste Trans* Community sein?
Nun, ich denke das Problem fängt schon damit, wie man denn „andere“ Gruppen klarer definieren sollte. Alleine die Definition von Transsexualität ist, wie wir immer wieder merken, höchst unterschiedlich. Für die einen ist nur „echt“ wer auch alle OPs und sonstige Maßnahmen hinter sich gebracht hat, für andere ist alleine der Wunsch danach ausschlaggebend und wieder andere legen es noch weiter aus. Wo fängt es an, wo hört es auf? Und wer hätte dafür die Deutungsmacht, wer sollte das festlegen? Es ist fast unmöglich, hierfür eine gute Definition zu geben. Hinzu kommt, dass gerade in jüngerer Zeit immer mehr Menschen für sich in Anspruch nehmen, sich nicht mehr vollständig binär zu verorten. Sie nehmen nur Teile dessen, was wir im Katalog der Maßnahmen für Transsexuelle kennen, in Anspruch, weil sie sich mit den anderen Dingen nicht identifizieren können oder aus welchen Gründen auch immer. Diese Gründe sind auch von Dritten nicht in Frage zu stellen, es ist, genau wie die Selbstbestimmung als transsexuelle Person, ihre freie eigene Entscheidung.
Alle gemeinsam haben jedoch das Problem, dass unsere Gesellschaft cis- und heteronormativ ist. Dies ist für uns alle, egal wo und wie wir uns auf dem Trans*Spektrum verorten, ein Problem. Wer an seinem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zweifelt oder sogar etwas daran verändern möchte, egal was, begegnet gesellschaftlichen Widerständen. Diese Widerstände abzubauen, für Aufklärung zu sorgen, für breitere Akzeptanz, das wäre bspw. ein gutes gemeinsames Ziel.
Eine solche Bewegung ist auch emanzipatorisch und, wie man heute sagt, „empowernd“, also für Betroffene bestärkend. Ich weiß nicht, wie es anderen auf ihrem Weg erging, aber ich zumindest hatte schon sehr lange das Gefühl, mit meinem Anderssein sehr allein, hilflos und machtlos zu sein. Das änderte sich jedoch, als ich andere Menschen wie mich kennenlernte, die mich darin bestärkten, in meinem Sein, so wie ich bin, völlig in Ordnung zu sein. An der Stelle ist es dann relativ egal, wo auf dem Spektrum von Trans* die stehen, die bestärkend wirken und wo die Person steht, die bestärkt wird. Der alle verbindende Punkt ist hier, dass wir alle gemeinsam an der Cisnormativität der Gesellschaft zunächst ausgebremst werden und diesen Widerstand überwinden müssen. Noch komplizierter wird es für die Personen, die eine Partnerschaft haben und die ihre Partnerschaft nach einer ggf. Transition behalten. Die, die zuvor eine heterosexuelle Partnerschaft hatten, finden sich dann auf einmal in der Außenwahrnehmung in einer homosexuellen Partnerschaft wieder. Die Heteronormativität der Gesellschaft wird für sie dann auch auf einmal zum Problem.
Bei alledem geht es dann überhaupt nicht darum, wie trans* sich eine einzelne Person verortet. Fast alle Trans*Personen haben diese Probleme. Idealer wäre für uns alle eine Gesellschaft, in der die geschlechtliche Selbstbestimmung voll und ganz akzeptiert würde. Definiere ich mich als Frau, so hat die Gesellschaft dies zu akzeptieren, genau wie eine Selbstdefinition als Mann, als Transfrau, als Transmann, als Transgender oder als Trans*was-auch-immer. Allen Trans* ist gemeinsam, dass sie es aktuell nicht frei können. Wenn sie es aber könnten, würde vielen Menschen viel Leid erspart und ich bin davon überzeugt, auch und gerade jenen, die sich als binär transsexuell verstehen. Denn auch für sie würde ihr Weg, vom Geburtsgeschlecht hin zu ihrer persönlich geschlechtlichen Lebensweise, deutlich einfacher werden.
Nur um das nocheinmal ganz klar zu machen, mit der Gruppe Trans* soll niemandem seine Selbstbeschreibung streitig gemacht werden! Ganz im Gegenteil werde ich mich immer dafür einsetzen, dass alle Trans*-Formen gleichermaßen benannt und berücksichtigt werden.
Indem man sich dann zusammenschließt, alle diese in vielen Punkten Unterschiedlichen, aber in vielem eben auch Ähnlichen, kann man gemeinsame Themen auch gemeinsam bearbeiten und gemeinsam stark und selbstbewusst auftreten und für Veränderungen eintreten, die allen zu Gute kommen. Wenn alle Menschen bereits in den Schulen lernen würden, dass es eben Menschen gibt, die sich mit ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht nur unzureichend oder sogar falsch beschrieben fühlen, dann wäre doch allen geholfen? Denn das würde die Akzeptanz aller trans* fördern und damit dann natürlich auch all jener, die sich selbst als transsexuell beschreiben. Wenn man lernen würde, dass Geschlecht nicht nur das ist und sein muss, was der Arzt oder die Hebamme nach der Geburt einträgt, sondern dass es da auch noch andere Faktoren gibt, wie nämlich z.B. die Selbsteinschätzung. Dann würde es für alle leichter werden, dies auch anschließend zu leben – und für transsexuelle eine Transition zu machen. Wenn der Staat endlich anerkennen würde, dass nicht ausschließlich das bei Geburt zugewiesene Geschlecht über das Geschlecht einer Person bestimmt, sondern dass sie dies selbst aussagen kann und muss, dann würde es für alle einfacher werden – denn der daraus zu ziehende Schluss ist, dass dann eine Begutachtung nach TSG keine valide Lösung sein kann, denn sie unterstellt per-se, dass eine Person das eben gerade nicht selbst einschätzen kann und daher eine Begutachtung durch jemanden braucht, der_die dies beurteilen könne. Gleiches bei der medizinischen Versorgung etc. etc.
Ich bin davon überzeugt, dass dadurch alle nur gewinnen können, wenn man es richtig macht und nicht Gruppen blind vereinnahmt, sondern die Unterschiedlichkeiten immer mitdenkt. Das ist zumindest mein Ziel und alle die ich bisher in den Gruppen von Trans*NRW oder dem Bundesverband-Trans* kennengelernt habe, geben sich allergrößte Mühe, alle Gruppen, die es auf dem Trans* Spektrum gibt, stets mitzudenken. Durch die Sammelbezeichnung „Trans*“ sollen sie nicht verschwinden oder gleichgesetzt werden. Es sollen nur alle gleichermaßen angesprochen werden, ohne eine Gruppe auszugrenzen oder zu bevorzugen.
Zuguterletzt möchte ich aber natürlich auch sagen, dass niemand erwartet, dass Gruppen wie Trans*NRW oder der Bundesverband-Trans* für alle wie auch immer Trans*Personen stehen könnten. Den Anspruch hat niemand. Wer sich damit nicht identifizieren kann oder möchte, aus welchen Gründen auch immer, braucht sich nicht davon vertreten oder angesprochen zu fühlen. Das ist jedermenschs gutes Recht. Was ich nur nicht haben kann ist, dass blind sofort auf diese Gruppen geschossen wird, ohne auch nur einmal die Hintergründe und/oder Ideen davon erfragt zu haben. Alleine die Buchstaben „Trans*“ lösen scheinbar einen Beißreflex aus, der für meine Begriffe aus einer tiefen Verletztheit herrührt. Noch bevor auch nur eine Zeile von diesen Gruppen veröffentlicht war, noch bevor eine Stellungnahme oder ein Papier geschrieben war, wurde sofort alles blind zerrissen. Das ist schade. Die Schwulenbewegung hatte genau diese Grabenkämpfe, bis sie sich endlich zusammenrauften – das hat 30 Jahre (!) gedauert. Wollen wir uns auch so lange streiten und warten, um dann doch etwas gemeinsames zu beginnen?
Abschließend möchte ich noch persönlich hinzufügen, dass ich mich durch diese Diskussionen und Debatten jedesmal wieder auch stark persönlich angegriffen fühle. Ich definiere mich durchaus selbst auch als transsexuell und lebe dies auch entsprechend. Ich erwarte, öffentlich als Frau angesehen, gelesen und behandelt zu werden. Ich bin mir jedoch meiner 42 Jahre männlicher Vergangenheit sehr schmerzlich bewusst. Diese kann ich nicht verleugnen, sie sind da. Auch kann ich nicht wegignorieren, warum ich 42 Jahre gebraucht habe, um endlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ein Grund dafür war, dass es für mich zuvor, wegen der Cis-Normativität meines Umfelds und der Gesellschaft, völlig unmöglich erschien, meine eigentliche geschlechtliche Identität zu leben. Erst als der Schmerz und der Druck zu groß und übermächtig wurde, fand ich dazu den Mut. Mit diesem Wissen versuche ich nun so gut es mir möglich ist, diese Vergangenheit, die nunmal da ist, und mein jetziges Leben zu vereinen. Ich sehe mich daher durchaus als transsexuell, aber auch als trans*, im Sinne eines Spektrums. Ich gehöre zu jenen dieses Trans*Spektrums, die sich wohl am extremsten Ende davon befinden, zu jenen, die ihr bei Geburt zugewiesenes Geschlecht ablehnen und für sich das andere, das Transgeschlecht, als deutlich passender empfinden. Die Diskussionen um Ausschlüsse und Deutungshoheiten lösen bei mir immer das Gefühl aus, mich rechtfertigen zu müssen, was ich nicht mehr will – ich kann es auch nicht mehr. Ich wünsche mir, dass jeder Mensch seine Geschlechtlichkeit frei und ungezwungen leben kann und dafür auch jede Unterstützung bekommt, die er_sie_x dafür benötigt und jede Anerkennung die ihm_ihr_x dafür zusteht.