Dieses Jahr war, so hoffe ich, ein Großes für die Trans*Bewegung in Deutschland. Mit dem dritten Trans*Aktiv Treffen im Waldschlösschen bei Göttingen im August 2015 erfüllte sich die Vision einer fast vierjährigen Vorbereitung. Mit der Gründung des ersten von breiter Zustimmung getragenen Trans*-Verbandes in Deutschland bekommt die Trans*-Gemeinschaft eine starke Stimme in Politik und Gesellschaft, um ihren rechtmäßigen Platz am Tisch der Gesellschaft einzufordern.
Wer sich mit Trans* beschäftigt weiß, wie zersplittert unsere Gemeinschaft oft ist, tief gespalten und Zerrissen von erbittert geführten Diskussionen, leider all zu oft um Nichtigkeiten, verglichen mit dem Großen Ganzen. Wir wussten vor dem diesjährigen Treffen sehr genau, was auf dem Spiel stand. Einige Teilnehmer_innen reisten zum dritten mal an, zum dritten Jahr in Folge und sagten bereits im Vorfeld, wenn es dieses Jahr wieder nicht klappen würde, dann würden sie nicht ein viertes mal kommen. Der Druck war groß.
Dennoch wollte das Koordinationsteam den Erfolgsdruck nicht selbst weitergeben, keinen Druck auf die Versammlung ausüben. Wenn es nicht sein sollte, nun denn, dann müsste man es eben, schweren Herzens, ein viertes mal versuchen. Dennoch wollten wir nichts unversucht lassen, um die Bedeutung dieses Wochenendes zu unterstreichen und aufrufen, kleinliche Streitigkeiten zum Wohle aller vielleicht einmal ruhen zu lassen.
Zur Eröffnung des Wochenendes am Freitag Abend 21.8. verlas ich folgenden Text von mir (wer die Reden von Lana kennt, wird ein oder zwei Ideen von ihr darin wiedererkennen – Lana, ich hoffe es ist in Deinem Sinne und Du kannst es mir nachsehen 🙂
Wer bin ich?
Was bin ich?
Wo gehöre ich hin?
Was ist mein Ziel, meine Aufgabe oder meine Bestimmung im Leben?
Dies sind die wohl größten Fragen, denen sich jeder Mensch in seinem Leben irgendwann einmal stellen muss.
Auf keine davon gibt es nur die eine, eindeutige oder gar richtige Antwort.
Und keine von ihnen lässt sich völlig ohne die anderen beantworten.
Wir hier in diesem Raum gehören einer ganz besonderen Gruppe von Menschen an.
Etwas tief in uns hat uns sehr unmissverständlich zu verstehen gegeben,
dass *wir* anders sind.Anders zu sein, ist eine Herausforderung – es ist eine große Aufgabe
und zuweilen auch eine große Bürde.Anders zu sein heißt, sich kaum orientieren zu können und, wenn überhaupt,
nur wenige Vorbilder zu finden.Wo andere sich einfügen und einpassen, stechen die, die anders sind, heraus und fallen auf.
Anders zu sein sorgt für Konflikte – mit sich selbst und auch mit anderen.
Anders zu sein führt zu Problemen, die sonst niemand zu haben scheint.
Hingegen der Norm zu entsprechen, erscheint so viel einfacher!
Doch „der Norm“ zu entsprechen…
„Normal“ zu sein?
Was ist denn schon dieses „normal“?
Die Norm, das Normale, das ist die Grundlage von allem Anderssein.
Denn „anders“ ist immer ein Vergleich – ein Vergleich mit eben dieser Norm.
Wir vergleichen uns selbst ständig damit – und werden damit verglichen.
Nicht der Norm zu entsprechen, übt Druck aus.
Druck auf die, die ihr nicht entsprechen, damit sie sich der Norm anpassen.
Aber auch Druck auf alle weiteren um sie herum, weil ihre Normen, ihre Normalität, durch das Anderssein der Anderen in Frage gestellt wird.
Wird der Druck zu groß, dann kann es zum Ausbruch kommen, zur Eruption, zur gewaltsamen Entladung.
Diese Gewalt kennt dann nur eine Richtung.
Sie ist immer nur gegen die gerichtet, die anders sind.
Die „Normalen“ richten ihre Gewalt gegen die, die anders sind und geben ihnen damit unmissverständlich zu verstehen, wie absonderlich, unnormal und falsch sie in ihren Augen sind. Intoleranz, Ausgrenzung und Diskriminierung sind die Folge.
Doch auch die, die anders sind, üben selbst viel zu oft Gewalt aus – sie richten sie gegen sich selbst und hadern mit ihrem Sein, dass ihnen tagtäglich als absonderlich, unnormal und falsch vor Augen geführt wird. Einige überleben diesen Konflikt nicht und viele mehr leiden darunter.
Doch was ist denn schon „normal“?
Wer definiert „normal“?
Normal ist offenbar etwas, dass meistens andere für uns definieren.
Durch ihre Definition von „normal“ erzeugen sie jenen Druck,
der schlussendlich zu Gewalt werden kann.Wir, die wir heute hier sind, haben aus unserem Anderssein etwas ganz besonderes gemacht.
Wir haben unsere Probleme und Konflikte auf ganz persönliche Art gemeistert.
Wir haben damit eine jener großen Fragen des Lebens mit großer Gewissheit und Selbstsicherheit beantwortet: Wer bin ich?
Jede Person hier im Raum, davon bin ich überzeugt, weiß heute ganz genau, wer sie ist.
Dies ist eine Offenbarung!
Sie wird nicht jedem Menschen zuteil – noch ein Grund mehr, auch ein wenig stolz auf sich zu sein
Wir haben damit aber auch unser jeweils eigenes und ganz persönliches „normal“ geschaffen.
Wir haben uns damit, zumindest ein großes Stück weit, von dem normativen Druck der anderen befreit.
In unserem eigenen Normal können wir gar nicht mehr „anders“ sein.
Wir haben unser persönliches Anderssein gewissermaßen transzendiert – das, was uns „anders“ erscheinen ließ, wurde für uns zu einem identitätsstiftenden Moment.
Ich sehe hier und jetzt eine große Runde gefestigter und selbstbestimmter Identitäten.
Es ist eine wunderbar bunte Runde, voller Unterschiede.
Kein Mensch und keine Persönlichkeit gleicht der anderen.
Dennoch gibt es ein starkes verbindendes Element zwischen uns allen.
Denn warum sonst wären wir heute gemeinsam hier?
Jeder Versuch einer Benennung, entweder für alle gemeinsam oder individuell, ist bereits im Ansatz zum Scheitern verurteilt – wir kennen das aus endlos scheinenden Begriffsdebatten.
Denn wäre eine Benennung nicht wieder nur der Versuch einer erneuten Normierung?
Die Abgrenzung und damit auch Ausgrenzung „dieser“ von „jenen“?
Und damit das erneute Schaffen neuer Kategorien, eines neuen „Normal“, mit genau den Folgen, denen wir gerade eben erst entkommen waren?
Indem wir hier und heute zusammen gekommen sind, vermitteln wir bereits zumindest eine ganz klare Botschaft – es gibt ein „wir“.
Es gibt eine Gemeinsamkeit, wie auch immer wir sie benennen wollen.
Ich glaube, wir sind eine Gruppe – mit einer ganz besonderen Gemeinsamkeit,
die fast keine andere mit uns gemeinsam hat – wir überwinden alle, wirklich *alle* Grenzen.
Uns gibt es auf jedem Kontinent der Erde, in jeder Region, in jedem Land.
Wir sprechen jede Sprache.
Wir gehören allen Ethnien an.
Wir gehören allen Religionen an.
Wir haben jede Hautfarbe.
Wir haben alle Berufe und jedes Amt.
Wir sind Freunde, Verwandte, Eltern, Kinder.
Wir sind schwul, lesbisch, bi und was es sonst noch alles auf dem Regenbogen gibt.
Wir gehören allen Minderheiten und allen Mehrheiten an.
Wir gehören zu allen sozialen Schichten.
Und, praktisch per Definition, haben wir jedes Geschlecht.
Wie kaum eine andere Gruppe, sind wir ein Teil, der Teil von allen ist!
Also lasst uns unser Anderssein als Chance begreifen,
als etwas Verbindendes, nicht als etwas Trennendes.
Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir dieses Geschenk weitergeben können – an unsere Gruppen, an viele weitere Gruppen, an alle Menschen.
Aber vor allem an alle Trans*-Menschen dort draußen, die unsere Hilfe brauchen, um ihr eigenes ganz persönliches „normal“ zu finden.
Damit sie alle beginnen zu sehen, was wir sehen:
Anders zu sein liegt im Auge des Betrachters
und seine Akzeptanz – beginnt bei jedem selbst.
Der 23.8.2015 ist Geschichte, im wahrsten Sinne des Wortes, denn wir schreiben sie gerade, in diese Moment fort. Das Wochenende war unglaublich intensiv, Diskussionen und Arbeit bis mitten in die Nacht, Freitag und Samstag. Am Sonntag, nach dem Mittagessen, fand dann endlich die Gründungsversammlung mit Vorstandswahl statt. Am 23.8.2015 um 15:45Uhr war es geschafft, der „Bundesverband Trans* e.V.i.G.“ war gegründet!
Für viele, vor allem für all jene, die bereits so lange Jahre mit dem Thema Trans* aktivistisch aktiv sind, war dies ein ganz besonderer und emotionaler Moment. Im Stress der letzten beiden Tage war keine Zeit zur Reflektion, zum Innehalten, zum Vergegenwärtigen des Augenblicks. Daher hatte ich Annette Güldenring beim Mittagessen noch gebeten, sollten wir es am Nachmittag wirklich schaffen, mit allen gemeinsam kurz inne zu halten und kurz ein paar Worte zu sagen. Annette ist bereits seit den 1980 Jahren trans*aktivistisch tätig und hat eine sehr warmherzige und ruhige Art. Ich war mir sicher, sie würde die richtigen Worte finden, um den Moment zu würdigen. Und das tat sie, ein Textauszug aus einem Aufsatz, den sie in dem Buch „Transsexualität – Transidentität, Begutachtung, Begleitung, Therapie“ von Udo Rauchfleisch veröffentlicht hatte:
Eine Szene aus dem Jahre 1979, die ich in Hamburg selbst miterlebt habe,
mag verdeutlichen, wie traurig die Situation für transsexuelle Menschen
damals war:Ein nebliger Novembertag. Vor einem Wohnblock in Hamburg Eimsbüttel
treffen sich acht Männer in grauen Kurzmänteln mit hoch geschlagenen
Krägen. Hüte gegen die Kälte, kleine Handkoffer als Gepäck. Die Szene
erinnert an einen Krimi, hat Geruch von Illegalität, von Verbotenem. Die
Protagonisten schauen sich verstohlen um aus Angst, gesehen, entdeckt zu
werden.Die Falltür einer Souterrainwohnung wird hochgeklappt. Die Männer
steigen in den unterirdischen Raum hinab, nehmen um einen Tisch herum
Platz. Gesprochen wird kaum, jeder kennt seine Rolle, die Abläufe sind
streng ritualisiert. Einer nach dem anderen huscht aufs WC, in den Raum
mit dem Schlüssel, in den Verschlag für Verbotenes, für die geheime
Verwandlung. In den Handkoffern befinden sich Kittelschürzen, graue
Perücken, ein Lippenstift, etwas Parfüm. Jeder Mann mildert mit der
Kleidung sein psychisches Leiden, „im falschen Körper zu stecken“, und
dann treffen sie wieder am Tisch zusammen. Ihre vorher ängstlichen Augen
wirken nun entspannter, das ein oder andere Gesicht strahlt zart als
„Rita“, „Dietlinde“, „Johanna“, „Paula“.Aus den Taschen holen sie etwas Schnaps, eine schlanke Zigarette und
sitzen zusammen für einen Lebensmoment als Frauen. Einmal im Monat. Sie
erzählen von zu Hause, von den Kindern, der Gattin und von den
Verstecken auf den Dachböden, wo sich in verriegelten Kisten ihre
Kleidungsschätze befinden, die niemals jemand finden darf.
Während Annette diesen Text vorlas, war es, in dem zuvor so geschäftigen Raum, völlig still. Über 60 Menschen wurde gewahr, was hier gerade passierte. Tränen standen in so manchem Auge. Die Anspannung der letzten Tage brach sich Bahn und wir lagen uns anschließend weinend in den Armen. Gut 35 Jahre nach diesen so bitter traurigen Momenten in Hamburg Eimsbüttel, gibt es nun endlich eine Vertretung für Menschen wie sie. Einen Anwalt für Ihre Sorgen und Nöte. Einen Repräsentanten für ihre Anliegen.