Eigene Fortschritte – 25.1.2014

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Ich habe mir lange überlegt, ob ich irgendwie meine Fort- und ggf. Rückschritte hier aufschreiben, ein privates Tagebuch führen oder es schlicht gar nicht aufschreiben sollte. Einerseits geht es eigentlich kaum jemanden ausser mir etwas an. Aber ich weiss, dass mein Gedächtnis auch nicht das beste ist und ich werde einfach Dinge vergessen oder vielleicht auch verdrängen, an die ich mich eines Tages dann aber doch erinnern möchte. Und vielleicht können meine Erfahrungen auf diesem Weg auch anderen helfen. Daher habe ich mich entschlossen es aufzuschreiben und dies auch hier öffentlich zu tun. Natürlich werde ich hier nicht gänzlich alles wiedergeben, aber das Wichtigste, so hoffe ich.

Also wo fange ich mal an?

Wie viele Transgender weiss auch ich schon lange, dass da etwas in mir im wahrsten Sinne des Wortes „dümpelt“ – es schwappte immer etwas hin und her und klopfte immer mal wieder an, je nachdem wie stürmisch es gerade war. Die ersten Jahre hielt ich es auch für einen eher perversen Tick, eine Macke, eine Marotte. Das konnte unmöglich real sein. Soetwas gibt es doch nicht! Also darf es auch bloss niemand erfahren, die stecken mich sonst in die Klapsmühle!

Aber diese Gedanken lassen einen nicht los – wir wissen das. Es lässt mal nach, aber der Druck kommt zurück und dann noch stärker als zuvor. Man muss damit leben lernen. Man lernt damit aber dann auch, Schutzwälle darum zu bauen. Wände, die den eigentlich Kern vor uns verbergen, weil wir ihn für so abwegig, ja schlimm, halten, dass wir ihn einfach nicht sehen wollen. Bei Douglas Adams im Hitchhiker’s Guide To The Galaxy heissen solche Phänomene „PAL – Problem Anderer Leute“. Man weiss zwar, dass da etwas ist, aber man guckt beharrlich daran vorbei – „Es gibt nichts zu sehen! Gehen Sie weiter!“. Eine klassische Selbsttäuschung.

Ich habe es tatsächlich geschafft, mich gute 30 Jahre lang auf diese Art selbst zu belügen – solange weiss ich eigentlich schon, was los ist, dass da ein Mädchen, heute eine Frau, in mir ist, die ich nur nicht rauslassen konnte. Heute, mit 43, beginne ich sie zu entdecken. Sehr spät, leider, aber noch nicht zu spät!

Meine Schutzwälle haben die ganzen Jahre grossartig funktioniert. Sie haben alles, was auch nur entfernt weiblich sein könnte, so weit aus meinem Leben gedrängt, sodass ich nie Gefahr lief mich, mich selbst oder durch andere entdeckt zu werden. Das weniger grossartige dabei war allerdings, dass eben alles, was auch nur entfernt weiblich sein könnte damit verschwand. Dazu zählten zum Beispiel auch Gefühle, Empathie – kurz, Menschlichkeit. Ich war eine gut funktionierende Maschine, rational und kalkulierend. Alles irrationale wurde instantan ausgeblendet. Nunja, ganz so schlimm ist es auch nicht, natürlich gab es gewisse Gefühle, Freude, Ärger etc. Aber eben nur jene, die man relativ rationla erklären kann. Über Witze kann man lachen, sie sind eben witzig. Über Erfolge kann man sich freuen, über Missgeschicke ärgern. Das ist alles plausibel nachvollziehbar. Aber nicht nachvollziehbare Gefühle? Das ging nicht.

Das schlimme daran ist, dass es einem selbst gar nicht auffällt, bis man es selbst schafft, diese Mauern einzureißen. Und manchmal braucht es Kraftanstrengungen, Mut und einen Tritt in den Hintern, um das endlich zu bewerkstelligen. Mein Tritt in den Hintern war der Entschluss zu dem Dresden Trip, den ich auch hier im Blog größtenteils beschrieben habe. Das spannende daran ist, dass alleine der Entschluss zu dieser Reise diesen Prozess in Gang brachte. Die Reise selbst hat es nur noch verstärkt.

Meine Mauern haben mit dieser Reise angefangen einzustürzen. Gewankt haben sie schon seit ein paar Jahren und erste Risse bekamen sie vor fast genau zwei Jahren, Ende 2011 / Anfang 2012, als ich die Reportage über die Schweizer Transfrau Claudia Meier im Fernsehen sah. Ich muss gestehen, dass mich die meisten anderen Reportagen über Transfrauen eher zum Fremdschämen animierten, doch der Bericht über Claudia brachte mich fast zum weinen. Denn ich erkannte zum ersten mal wirklich, dass ich diesen Weg, den Claudia dort beschritten hatte, für mich gehen könnte. Ich erkannte zum ersten mal, dass dies eine reale Möglichkeit ist! Und für mich auch sein könnte! Es war das erste mal, dass ich mir selbst zugestand, vermutlich doch transsexuell zu sein.

Heute stehe ich vor den enormen Schuttbergen, die diese Mauern zurückgelassen haben und trage sie Schicht für Schicht ab und langsam kommt mein ganzes ich zum Vorschein. Im Oktober ging ich zum ersten mal zu einem Treffen der lokalen Transsexuellen Selbsthilfegruppe – ein grosser Schritt.

Im November 2013 haben die Eindrücke und Veränderungen so weit in mir gegoren, dass sie Luft brauchten. Ich erklärte mich in einem langen Brief meiner Partnerin (de-facto Frau, wir sind nur schlicht nicht standesamtlich verheiratet). Ich wusste zu diesem Zeitpunkt ganz genau, dass „etwas“ passieren musste und ich mit diesem in den Tag hinein leben bzw. es auf den nächsten Tag verschieben nicht mehr leben konnte. Das Versteckspiel kotzte mich förmlich, also musste das aufhören, daher die Erklärung an Sie. Sie nahm es erstaunlich gut auf, kurz zusammengefasst: Tue was Du für nötig hältst um glücklich zu sein, dann bin ich auch ich glücklich. Oh! Das war ja einfach. Ich liebe sie – nicht nur dafür, aber deshalb um so mehr.

Die daraufhin wieder gesteigerte Offenheit half mir enorm! Ich konnte nun endlich ohne Barrieren denken, denn ich wusste, ich habe ihren Rückhalt. Nur wenige Tage nach dem Brief hatte ich einen Gesundheitscheck bei meinem Hausarzt. Dort nahm ich allen Mut zusammen und sprach ihn am Ende des Check-Ups darauf an – dass ich da ein Problem mit meiner Geschlechtsidentität hätte und vielleicht transsexuell sei. Zu meiner großen Erleichterung geht er damit völlig offen und auch interessiert um! Einfach großartig und dafür gebührt ihm mein herzlicher Dank! Von der Selbsthilfegruppe hatte ich eine Adresse eines Psychologen mit Erfahrung in dem Bereich bekommen und liess mich dahin überweisen. Zudem bat ich meinen Arzt um ein Anti-Androgen, um Trieb gesteuerte Auslöser definitiv auszuschliessen – ich bat ihn um 200mg Spironolacton, eigentlich ein Diuretikum aber mit einer mittleren anti androgenen Wirkung. Dies nehme ich seit dem und es hilft mir in der Tat, etwas den inneren Druck zu senken – eine der Wirkungen von Testosteron.

Noch im November 2013 hatte ich dann auch meine erste Sitzung zur Bartentfernung mittels IPL – aua. Ende November habe ich dann einen Geschäftpartner aus der Firma eingeweiht, d.h. neben meinem Hausarzt und meiner Frau war er dann der Dritte und seine Reaktion war ebenfalls großartig, Interessiert und verständnisvoll, soweit ein nicht-Trans* Mensch dies alles überhaupt verstehen kann.

Im Dezember hatte ich dann meinen ersten Termin bei dem Psychologen und erzählte ihm grob von Dresden und einigen Details aus meinem Leben, nach denen er dann fragte. Das ganze verlief aber eher, aus meiner Sicht, schleppend. Ich hatte ein paar mehr kritische Fragen erwartet, auf die ich hätte mich hätte rechtfertigen müssen. Aber das blieb aus und der nächste Termin war dann erst wieder am 21. Januar 2014.

Im November 2013 hat es also begonnen. Da fing der Stein an zu rollen. Und er rollt noch immer!

Die Weihnachtszeit verbrachten wir zusammen bei unseren Familien, zuerst bei meinen Eltern, darauf bei ihren. Zurück zu Hause hatte ich wieder ein paar neue Bücher zu lesen und eines davon beeindruckte und bewegte mich tief: Telefonate mit Denise. Das Buch entstand mehr oder weniger durch Zufall, als eine Journalistin für einen Artikel eine Transsexuelle, Denise, interviewte, sie das Thema aber anschliessend nicht mehr los ließ. Es entsponnen sich nächtelange Telefonate, aus denen dann dieses Buch entstand. Es schildert einfühlsam größtenteils in Dialogform das teils dramatische aber auch faszinierende Leben von Denise und wie sich die Entwicklung hin zu der Erkenntnis der eigenen Transsexualität abspielte. Der für mich wirklich ergreifende Teil daran ist, dass ich vieles von dem was Denise durchgemacht hat, auch an mir selbst feststelle – nicht alles, aber vieles.

Im Laufe der weiteren Beschäftigung damit begann ich endlich einen Weg zu finden, mit dem ich meinen Zustand vor mir selbst rechtfertigen konnte. Bis dahin hatte ich das große Problem, dass ich unsicher war, denn alle basierte auf eher vagen Gefühlen. Und das ist für mich keine ausreichende Grundlage für eine Entscheidung, die mein ganzes weiteres Leben drastisch beeinflussen würde. Ich brauchte also mehr. Was mich auch die ganze Zeit beschäftigte war die Frage, welche Bedeutung Äußerlichkeiten dabei für mich spielten? Denn damit hat es ja angefangen, mit dem Bedürfnis nach weiblicher Kleidung. Ich wollte absichtlich nicht, dass dieser Drang und dieser Wunsch meine Basis darstellten. Das wäre mir zu dünn.

In den freien Tagen vor Silvester hatte ich dann endlich meine Erkenntnis, die eigentlich die ganze Zeit so nahe lag: Identität – es steckt ja sogar breits im Begriff „Geschlechtsidentität“. Mit Identität einher geht Identifikation und das ist mein persönlciher Schlüssel. Ich identifiziere mich mit dem, was als weiblich angesehen wird. Es ist meine Identität. Und ich kann auch die Umkehrung machen – ich identifiziere mich nicht mit dem, was als männlich angesehen wird.

Dies hebt (oder senkt, wie man es sehen mag) das ganze auf eine Ebene, die getrennt ist von der binären Geschlechterordnung Mann vs. Frau und es trennt es von der Sache her von Äußerlichkeiten. Die Äußerlichkeiten sind dann nur noch Ausdruck der Identifikation, Ausdrucksmittel, aber sie stellen nicht das eigentliche Wesen dar. Dies ist nun endlich etwas, worin ich völlig klar sehe.

Dies habe ich dann so auch am 21. Januar dem Psychologen auf ein paar Seiten Text zusammengefasst – ich kann besser schreiben als reden, da vergesse ich immer mir wichtige Punkte. Das war die zweite Sitzung bei ihm. Schockierenderweise sagte er mir nach ca. einer halben Stunde, dass er da keine Zweifel mehr hätte, das sei alles klar durchdacht, ausgewigen, selbstreflektierend, zeige einen langen Reifungsprozess und eine tiefe Entschlossenheit bzw. nicht Umkehrbarkeit. Er würde mich also bei allem, was da nun auf meinem transsexuellen Weg läge, unterstützen.

Da war ich erstmal etwas platt, aber natürlich auch etwas erfreut. Denn ganz offenbar waren meine Gedanken wohl für einen Professor der klinischen Psychologie schlüssig.

Und nun stehe ich also da und halte praktisch den Schlüssel zu Pandoras Box in der Hand. Soll ich sie öffnen?

Es gibt da auch noch diesen schönen Spruch „Angst vor der eigenen Courage“ – das trifft jetzt gut zu.
Bisher war das alles sehr fern. Arztbesuche, Psychologe, Epilation … es schien alles noch lange hin zu sein, bevor es endgültige Auswirkungen haben würde, bevor weitreichende und endgültige Entscheidungen zu treffen wären. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, etwas sechs Monate bei dem Psychologen ersteinmal zu verbringen – nicht gewollt, doch damit hatte ich gerechnet. Ich hatte also noch sechs Monate Zeit, bis ich ein professionelles Urteil zu meiner Situation bekomme. Dachte ich.