Manchmal frage ich mich, über was wir uns alles eigentlich die Köpfe zerbrechen oder sogar streiten? Da ist bspw. immer wieder die Rede davon, dass die Energiewende hin zu mehr Verbrauchern auf Basis von elektrischem Strom die Verteilnetze gerade in den Ortschaften zu den privaten Wohnhäusern gefährden würde. Das wenn alle Photovoltaik Anlagen in größerem Maßstab auf Ihre Wohnhäuser bauen würden, die Netze damit überfordert wären. Wallboxen für E-Autos und Wärmepumpen würden die Netze zusammenbrechen lassen.
Aber ist das wirklich realistisch? Was passiert tatsächlich?
Schauen wir doch mal ein wenig auf ein paar Daten und Fakten.
Zuerst ein kleiner Rückblick. Als in den 1970er Jahren die erste Ölkrise stattfand, war Europa und Deutschland in heller Aufregung. Nicht nur konnten Autos nicht tanken, sondern auch Öl Heizungen bekamen ein Problem. In der Folge wurde massiv für nicht-Öl Heizungen geworben, darunter auch sogenannte Nachtspeicher Heizungen. Diese finden sich heute noch in großem Maßstab in Altbauten, entweder wurden sie in und nach den 1970ern nachgerüstet oder direkt in den Neubauten verbaut. Nachtspeicher Heizungen wurden massiv subventioniert, unter anderem durch spezielle Nacht Strom Tarife. Es wurde dann ein Zweitarifzähler installiert und mit sogenannten Rundsteuersignalen konnten die Netzbetreiber den billigen Nachttarif zu irgendeiner Nachtstunde freischalten, bei dem dann auch die Nachtspeicher „geladen“ wurden. Alle zur gleichen Zeit. So ein Nachtspeicher hatte gerne eine Leistung von mehreren Kilowatt (kW) und davon hatte man dann in fast jedem Raum des Hauses jeweils einen. Halbwegs realistisch sind in etwa 3kW pro solchem Ofen. Jetzt nehmen wir mal an, es gibt „nur“ vier davon im Haus, was noch vergleichsweise wenig ist, dann werden also in einem Ortsnetz, in dem solche angeschlossen sind, zu irgendeiner Nachtzeit alle solche Öfen gleichzeitig zum Laden aktiviert, jede Nacht – jeweils 4 x 3kW = 12kW pro Haus – oder eben auch deutlich mehr. Und das war in den 1970er Jahren.
Und jetzt diskutieren wir ernsthaft, ob unsere Netze heimische Wallboxen mit 11kW aushalten? Die im Schnitt auch nur einmal pro Woche überhaupt genutzt werden, zu sehr unterschiedlichen Zeiten. Laut statistischem Bundesamt legen 80% der Pendler täglich etwa 20km zurück. Selbst E-Autos mit vergleichsweise kleinem Akku schaffen damit mindestens eine Woche ohne wieder laden zu müssen. Die Annahme, dass nach Feierabend alle nach Hause kommen und sofort ihr E-Auto an die 11kW Wallbox stecken, ist schlicht völlig unrealistisch. Doch selbst wenn es so wäre, wäre dies eine Gefahr für das Ortsnetz? Nein, macht für mich Null Sinn.
Unsere örtlichen Verteilnetze sind nicht das Problem, selbst wenn noch weitere Verbraucher wie eine Wärmepumpe (elektrische Leistung für ein Einfamilienhaus ca. 5-6kW) hinzu kommen. Das ist meiner Meinung nach Panikmache – und ich vermute auch noch ein Stück Lobbyismus der Netzbetreiber. Seit Jahren fahren wir unsere öffentliche Infrastruktur auf Verschleiß. Die Instandhaltung wird stark vernachlässigt und weiterer Ausbau recht konsequent verschoben. Das führt bei den privaten Konzernen schlicht und ergreifend zu Gewinnsteigerungen in schon fast obszönem Ausmaß! RWE hat im letzten Jahr den größten Konzerngewinn seit Gründung eingefahren. Vorausschauende Investitionen in Infrastruktur? Nö. Warum, läuft doch?
Währenddessen wird Weltuntergangspanik verbreitet, dass unsere Netze nicht ausreichen würden, dringend ausgebaut werden müssten, aber die Kosten! Also was passiert? Unsere Regierung schafft Möglichkeiten für die Konzerne, noch einmal kräftig bei den Kund*innen abzukassieren, die Netze müssen ja schließlich schnell ausgebaut werden, die armen Konzerne! Das können die natürlich nicht alleine, also müssen wir denen schnell noch mehr Geld hinwerfen. Obwohl genau diese Konzerne die Pflicht hatten, die Netze zu erhalten und bedarfsgerecht auszubauen, haben sie nur eben nicht und jetzt sollen wir alle mal wieder dafür gerade stehen.
Das führt dann zu solchen Dingen wie, dass beim Antrag zum Anschluss einer Wallbox pauschal für einen Haushalt angenommen wird, dass die „geplante“ Gesamtanschlussleistung 30kW sind. Aha. Liegt die geplante Gesamtleistung über 30kW, ist für die Erteilung der Genehmigung ein „Baukostenzuschuss“ fällig, Baukosten eben für diesen Netzausbau, für den die Betreiber ohnehin schon Geld bekamen, nämlich durch die Netzentgelte, die wir auf unseren Strom bezahlen. Diese 30kW sind nicht sonderlich viel, rechnet man mal alles im Haushalt zusammen, was gleichzeitig laufen könnte. Hat man bspw. noch einen Durchlauferhitzer für warmes Wasser, der theoretisch maximal 20kW aufnehmen kann (aber praktisch nie tut), dann kommt man mit diesem und einer 11kW Wallbox schon auf 31kW und schwups darf man einen „Baukostenzuschuss“ von ein paar hundert Euro entrichten.
Was wird dann gebaut, fragt man sich? In der Regel – nichts! Denn jetzt kommt der Witz, in den meisten Wohnbaugebieten gibt es gar keinen Verteilnetz Lastplan! Glaubt ihr nicht? Dann lest weiter…
Bei uns sollte gerade der Hausanschluss von Dachständer auf Zuleitung in der Straße umgelegt werden (glücklicherweise findet das jetzt doch nicht statt! Das wäre richtig teuer geworden…). Dazu war dann ein Mitarbeiter des lokalen Netzbetreibers, in dem Fall Westnetz, bei uns. Also habe ich ihn mal gefragt, was denn für unseren Hausanschluss „geplant“ sei, also wieviel kWatt denn da in der Tabelle steht. Der guckt mich verdutzt an und wusste offenbar überhaupt nicht wovon ich redete. Ich habe versucht, es ihm drei mal zu erklären und drei mal hat er mir versichert, einen solchen Plan gibt es gar nicht! Zitat: „Jedes Haus bekommt 63A, was Sie damit machen, ist Ihre Sache.“. Das muss man kurz technisch erklären. Was er hier meinte, ist die Absicherung des Hausanschlusses, mit eben 63A (A = Ampère). Das sind auch noch 63A pro Phase, wir haben ein drei Phasen System, d.h. es sind 3 x 63A „…was Sie damit machen ist Ihre Sache.“. Diese 63A pro Phase sind 63A x 230V x 3 = 43470 Watt = 43,47kW – also sagen wir mal einfach 43kW. Fülle ich bei Westnetz eine Anfrage für eine 11kW Wallbox und einer Gesamtleistung > 30kW aus, dann wird sofort ein Baukostenzuschuss ausgewiesen, obwohl offenbar bereits die nötige Gesamtleistung vorhanden ist! Was soll das? Und da kein Plan vorhanden ist, also diese „Erhöhung“ nirgends vermerkt werden kann, darf man das dann wohl jedes mal wieder zahlen, wenn man einen Antrag für etwas stellt?
Noch verrückter wird es bei Photovoltaik Anlagen. Möchte man mehr als nur eine Balkon Solar Anlage mit schlappen 600 Watt anschließen, wird es kompliziert. Die Anlage darf nur von einem Elektriker angeschlossen werden und muss zuvor beim Netzbetreiber angemeldet werden. Auch hier wird wieder mit dem Schutz der Verteilnetze argumentiert. Realistisch betrachtet reden wir hier aber von Anschlussleistungen von weniger als 10kW einzuspeisender Leistung – und das auch nur im Maximalfall, also im Sommer zur Mittagszeit. Ein Teil dieser Leistung wird zudem in der Regel entweder sofort im eigenen Haus verbraucht oder bei den Nachbarn, die keine Solar Anlage haben, was leider noch eher der Regel- als Sonderfall ist. Was also de facto passiert ist, dass die lokalen Netze durch solche Solar Anlagen entlastet und nicht belastet werden! Die Netzbetreiber sollten froh über jede privat eingespeiste kWh sein, die sie auch noch zu unrealistisch günstigen Preisen bekommen, entweder für schlappe 8 Cent pro kWh aus der Einspeisevergütung oder sogar ganz kostenlos, wenn es reine Eigenverbrauchsanlagen sind, die keine Einspeisevergütung bekommen – so wie bspw. Balkon Solar Anlagen. (Das muss man sich dann auch mal vergegenwärtigen, den Strom, den ich kostenlos mit meinem Balkonkraftwerk ins Netz einspeise, den bezahlt dann mein Nachbar mit aktuell 40 Cent/kWh !)
Also nein, in nicht industriellen Gebieten mache ich mir um die Verteilnetze keinerlei Gedanken, weder für Elektro Mobilität, Wärmepumpen oder Photovoltaik. Alles heiße Luft und, wie ich leider vermute, Lobby getriebene Profit Maximierung der Energie Monopolisten.
Oh, einer noch – „Ja aber Westnetz gehört doch gar nicht zu Energieriesen wie RWE!“ – ach, wirklich? Natürlich steht nicht RWE drauf, denn das dürfen sie nicht, Energie Erzeugung und Verteilung müssen getrennt sein. Aber dann schaut mal, wem welche Anteile an welchen Konzernen gehören und siehe da, es zeigt sich ein krudes Geflecht, in dem sich auf einmal alle wiederfinden – RWE, Westnetz, eON etc. Alles ein und derselbe Haufen, nur mit anderen Namen, die sind alle miteinander über signifikante Firmenbeteiligungen verbunden, wirklich getrennt ist da gar nichts und entsprechend hackt da auch eine Krähe der anderen kein Auge aus. „Der Markt regelt das!“ – äh, nein, denn wirkliche Konkurrenz gibt es in diesem Strom Energiemarkt nicht. (Sehr schön dazu ist auch die Folge „Die Anstalt„, unbedingte Empfehlung, wenn man mal diesen „Markt“ „verstehen“ möchte…)