Ich halte es schon, in gewissen Grenzen, für wichtig, dass scheinbare Selbstverständlichkeiten, wie eben bspw. Geschlecht, auf breiter Ebene hinterfragt werden. Nur weil es bisher und bereits seit langer Zeit nicht getan wurde, bedeutet das doch noch lange nicht, dass das auch gut so sei? Neue Möglichkeiten zu entdecken bedeutet auch immer zuerst, neues Wissen zu schaffen. Wissen schafft den Raum, um darin etwas zu entwickeln. Wer sich neuem Wissen verschließt, es ignoriert oder eben darauf verweist, dass es bisher ja auch ohne ging, tritt auf der Stelle. Das ist eine Form von Konservativismus. Veränderungen sind nicht immer leicht. Sie brauchen Zeit, sich daran zu gewöhnen. Und manchmal stellt man erst fest, dass es ein Holzweg war, wenn man ihn beschritten hat.
Aktuell haben wir die Situation, dass Geschlecht per-se mit all seinen Auswirkungen in Sprache, Gesellschaft, Kultur etc. immernoch nur unzureichend erforscht ist. Was aber gut erforscht und historisch nachvollziehbar ist, ist der Einfluss von Sprache auf das Bewusstsein. Als krasses Beispiel sei hier vielleicht das Buch 1984 von Orwell erwähnt. Es ist ein altbekannter Mechanismus, dass durch gezielte Veränderung der Sprache, das (Selbst-)Bewusstsein aller die Sprache Anwendenden beeinflusst werden kann. Wenn ganze Begriffe fehlen, um etwas zu beschreiben, wird bald das Bewusstsein für das zu beschreibende aufhören. Dies sind Mechanismen, die immer wieder vor allem in
totalitären Systemen zu finden sind. Die werden das nicht ohne Grund machen.
Ich denke also schon, dass es absolut sinnvoll ist, scheinbar Selbstverständliches stetig zu hinterfragen und dann ggf. auch mal neue Wege zu beschreiten. Vielleicht sind es Holzwege und stören mehr, als das sie helfen. Aber vielleicht kommt ja doch etwas Gutes dabei heraus? Wir würden es nur nie erfahren, wenn sich alle an den Status-Quo klammern, aus Angst vor Veränderung oder aus schierer persönlicher Faulheit, sich an etwas Neues zu gewöhnen.
Es gibt Veränderungen, die kann man kleinschrittig, graduell und schleichend machen. Eine geschlechtliche Gleichstellung der Sprache gehört aber leider nicht dazu. Wenn man dieses Thema anfassen will, wird es immer eine große Veränderung sein. Die aktuell laufenden Diskussionen und Bemühungen dazu treiben, ohne Frage, auch einige recht irrwitzige Blüten. Doch so funktioniert Diskurs in einer offenen pluralistischen Gesellschaft nunmal. Da gibt es auch immer Extrempositionen und das muss man aushalten können. Man muss sie sich bestimmt nicht zu eigen machen, aber im Rahmen eines Diskurses zulassen und versuchen zu verstehen, um anschließend zwischen allen einen tragfähigen Konsens zu finden.
Das Gender-Gap, also den Unterstrich, halte ich persönlich zur Zeit für einen der besten Vorschläge dazu, vor allem auch dessen Hintergrund, aus WikiPedia:
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Der Gender Gap soll ein Mittel der sprachlichen Darstellung aller sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten, auch jener abseits des gesellschaftlich hegemonialen Zweigeschlechtersystems sein. In der deutschen Sprache wäre dies sonst nur durch Umschreibungen möglich. Die Intention ist, durch den Zwischenraum einen Hinweis auf diejenigen Menschen zu geben, welche nicht in das ausschließliche Frau-/Mann-Schema hineinpassen oder nicht hineinpassen wollen, wie Intersexuelle oder Transgender.
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Das „Gap“, also die Lücke, ist dann auch in der gesprochenen Sprache spannend. Durch den Unterstrich soll eben auch eine verbale Lücke dargestellt werden, die in der Aussprache berücksichtigt werden soll, bspw. Lehrer<kurze pause>innen. Das ist eine ganz spannende Variante. Auf jeden Fall sehr gewöhnungsbedürftig, aber wer weiß?
Eines hat die ganze Diskussion darum doch aber bereits heute gebracht: Es machen sich jetzt viel mehr Menschen Gedanken darüber, als zuvor. Immerhin, frei nach dem alten Marketing Spruch, auch schlechte PR ist PR. Durch die teils sehr weit gehenden Vorschläge wurde eine breite Diskussion ausgelöst, die auf das sprachliche Gender Problem hinweist. Von der Sprache kommt man aber dann auch wieder ganz schnell zu weiteren Problemen, die rund um das Thema Geschlecht anfallen. Ich denke wir brauchen mehr davon. Bisher war die Gender-Debatte dominiert von der Gleichstellungsdiskussion, also die Aufhebung der Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern. Die Feminismus Bewegung hat dafür gesorgt und dieses Thema in die breite Öffentlichkeit gebracht – zu Recht.
Die erste Welle der Diskussion um die Natur von Geschlecht entstand im Rahmen der ersten großen Homosexuellenbewegungen – Stonewall, sozusagen der Ursprung der CSD Bewegung. Seinerzeit wurde auch der Geschlechterbegriff in Frage gestellt, da sich Homosexuelle ganz offenbar entgegen ihres Geschlechts verhalten würden. Heute sieht
man dies auch wieder deutlich differenzierter und die Homosexuellen haben sich aus der Gender Diskussion weitgehend verabschiedet. Es ist nun an uns, das dichotome Geschlechtermodell zu hinterfragen und durch das Hinterfragen mit dazu beizutragen, dass sich das öffentliche Bewusstsein verändert. Ein Ansatz dazu ist die Sprache. Aber es ist nur einer von vielen. Mit Sprache alleine werden wir nicht alle unsere Probleme lösen können. Aber vielleicht können wir dadurch dann besser
darüber sprechen und unsere Anliegen besser transportieren, an jene Stellen, an denen Weichen auch für uns gestellt werden.