Selbstzweifel Transsexueller – Oder, wie kann ich mir _sicher_ sein?

Nachfolgender Beitrag von mir entstand im Rahmen einer Foren Diskussion. Es ging um die Frage, ob man sich als Transsexuelle(r) wirklich sicher sein kann bzw. welche Bedeutung Selbstzweifel haben könnten. Ich denke, alle Transgender, und Transsexuelle im Besonderen, werden diese Momente haben, an denen sie an sich selbst, ihrem Selbstbild und der Welt zweifeln und daran fast verzweifeln.

Es ist auch nicht schwer nachzuvollziehen, denn wir kennen uns ja in unserer „normalen“ Rolle seit mehr oder weniger vielen Jahren. Selbst wenn wir uns sicher sind, dass etwas in uns nicht stimmt, so ist es dennoch extrem schwer zu bewerten, wie schwerwiegend dies wirklich ist. Das ist das, was man landläufig als den berühmten „Leidensdruck“ beschreibt.
Wie sehr leidest Du darunter, dass Du nicht so leben kannst, wie Du es als richtig empfinden würdest?

Denn da sollte man sich sicherlich nichts vormachen – den TS Weg gänzlich zu beschreiten bedeutet, sein bisheriges Leben weitgehend über Board zu werfen. In den wenigsten Fällen geht das ohne größere Brüche ab. Auch wird die Zeit danach kein Zuckerschlecken. Selbst wenn man nur wenig als TS erkennbar ist oder sein wird, so reicht es dennoch für mehr oder weniger starkes Mobbing oder Probleme im Alltag – Pöbeleien oder mit argem Pech auch gewalttätige Übergriffe. Auch mit/im Job wird es in der Regel problematisch. Muss alles nicht sein, aber damit rechnen sollte man.

Und dann fragt man sich ganz zwangsläufig, welches Leid ist wohl das Größere?
Das Jetzige oder jenes, welches man erleben wird, wenn man den Weg zu Ende geht?

Daher ist auch einer der Grundsätze bei der begleitenden Therapie, nach alternativen Lösungen zu suchen. Der TS Weg ist und kann nur der letzte Ausweg sein, wenn wirklich keine andere Möglichkeit besteht und das akute Leiden existenzbedrohend ist und nur so abgewendet werden kann. („existenzbedrohend“ muss dabei aber nicht notwendigerweise gleich Suizidgefahr bedeuten. Es kann auch soetwas sein, wie das man in seiner normalen Rolle nicht mehr „funktioniert“, normale soziale Beziehungen nicht aufrecht erhalten werden können oder bspw. der Alltag nicht mehr bewältigt werden kann etc.).

Bist Du schon ge-outet? (Blödes Wort. Gibt es da keinen sinnvollen Deutschen Begriff?)
Komplett, also auch gegenüber der Familie? Freunden? Arbeitskollegen? Wenn nein, nimm‘ Dir etwas Zeit und überlege Dir ganz genau, wie dies wohl bei den einzelnen Personen ablaufen könnte – Du kennst sie ja. Und denke daran, dass es wider Erwarten schief gehen kann. Wie würdest Du damit umgehen? Kämst Du damit zurecht, abgewiesen oder sprichwörtlich verstoßen zu werden? Deswegen Deinen Job zu verlieren oder nur noch mit größten Mühen und Abstrichen überhaupt einen zu bekommen?

Ich habe einige TS mittlerweile kennenlernen dürfen und die waren alle so weit. Für sie war es so, wie es vorher war, nicht mehr auszuhalten und sie hätten, schweren Herzens, alles eher ertragen, als weiter „falsch“ zu leben.

Für mich ist dies eine der zentralen Fragen, wenn nicht sogar *die* zentrale Frage: Welches Leid ist für die eigene Person schlimmer? Wie hoch ist der Druck? Erst wenn es wirklich gar keine Aussicht gibt, ein halbwegs normales Leben in der ursprünglichen Rolle zu leben, sollte man diesen Weg tatsächlich in Erwägung ziehen. TS ist nicht das Sahnehäubchen auf die bestehende Existenz. Keine Erweiterung zum Besseren. Es ist vielmehr die Dekonstruktion des Status-Quo zur Rekonstruktion von etwas fast gänzlich Neuem.

Etwas, was mich auch die ganze Zeit beschäftigt ist die Frage, was für mich die wirklich qualitative Veränderung wäre? Vieles von dem, was auf dem TS Weg liegt, kann ich, wenn ich ehrlich zu mir bin, auch so schon bzw. kann jeder andere auch. Und während des Alltagstests wäre man dazu sogar gewissermaßen gezwungen. Selbst das Führen des neuen Vornamens ist ohne Formalien in den meisten Fällen möglich. Das einzige, was man nur schlecht bekommt, sind Hormone. Also was hindert uns daran, einen drastisch feminineren (oder für Transmänner: maskulineren) Weg einzuschlagen? Ein Gutachten von einem Psychologen? Der kann uns eh nicht sagen, was wir sind oder nicht sind. Das müssen wir ganz alleine selbst herausfinden. Die offizielle Vornamensänderung? Für erstaunlich Vieles gar nicht notwendig – Arbeitgeber, Schule, Uni, Krankenversicherung etc. stellen auf Verlangen den Vornamen um. Und bevor es Einsprüche gibt: Ja, einen Anspruch hat man dann noch nicht darauf. Aber die meisten Institutionen lassen da durchaus mit sich reden, wenn man ihnen sachlich erklärt, dass man sich als TS fühlt und dies wirklich so haben möchte. Haben wir hier in der SHG diverse Beispiele. Einzig amtliche Ausweise und Führerschein liefen noch auf den alten Namen.

Es hält einen also nicht sonderlich viel. Warum tut man es dann nicht? Was hält einen wirklich? Und genau *dies* sind, denke ich, die eigentlichen Wurzeln des Zweifelns. Erst wenn man darauf eine eindeutige und vor sich selbst glaubwürdige Antwort hat, dann sollte man es wirklich angehen. Und diese Antworten muss man sich selbst geben. Es ist zunächst völlig unerheblich, was Dritte dazu sagen oder meinen. Sie werden Dir höchstens helfen können, eine Antwort zu finden, aber sie können und sollten Dir diese keinesfalls vorgeben. Das ist ähnlich zum begleitenden Therapeut, der eben „nur“ begleitet und unterstützt, aber keine ja/nein Diagnose stellt und stellen kann. Er wird nur unter Umständen anhand der ausbleibenden Antworten feststellen, dass entweder der Leidensdruck nicht groß genug oder die Ursache womöglich doch woanders, als in TS begründet sein könnte.

Was mich hält ist, gebe ich offen zu, dass ich die Hosen gestrichen voll vor Angst habe, was alles schief gehen könnte. Das betrifft praktisch ausschließlich mein Umfeld – Öffentlichkeit (z.B. in der Stadt, wem mal „Schwuchtel“ von einer Gruppe Halbstarker nachgebrüllt wurde, wird das verstehen), mein näheres Umfeld mit Freunden und Kollegen, aber vor allem die Familie. So wie ich jetzt bin, ist es zwar für mich nicht schön, aber ich bin akzeptiert. Würde es danach jemals wieder so sein? Und wenn nicht, habe ich dann nicht versucht, den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben und indem ich hoffte ein Problem zu lösen, dabei viele neue geschaffen?

Nuja… Obiges gilt eher für die noch Wankelmütigen und Unentschlossenen.
Es gibt auch jene, das sind vor allem Typ-1 TS, die felsenfest sicher sind und für die es nie einen Zweifel sondern höchstens etwas Angst vor der Zukunft gab. Es gibt auch jene, für die alles super glatt abläuft, beneidenswert – keine Probleme beim Outing, keine Probleme im Job/Uni/Schule, Familie akzeptiert die neue Tochter / den neuen Sohn, kein Mobbing, „stealth mode“ also perfektes Passing (gerade gestern eine solche Transfrau getroffen – meine Güte war ich neidisch, aber auch kein Wunder, denn sie hat sich mit 15 ge-outet, d.h. sie hat die Folgen der Pubertät weitgehend unterdrücken können) – alles Bestens.
So kann es gehen. Doch damit sollte man, denke ich, keinesfalls rechnen.
Rechne mit dem Schlimmsten und alles Gute ist eine positive Überraschung.

Mittwoch habe ich meinen ersten Termin beim Psychologen. Ich weiß recht genau, welche „Knöpfe“ ich drücken müsste, um von ihm eine Indikation oder Gutachten zu bekommen. Das habe ich aber nicht vor, sondern ich werde so offen und ehrlich wie möglich mit ihm sein, ihm also auch von meinen Zweifeln erzählen. Ich hoffe das geht mit ihm, denn das scheint leider nicht selbstverständlich zu sein, dass Psychologen beim Thema TS ehrlich Interesse zeigen und wirklich helfen wollen. Ich habe unglaubliche Angst, das Falsche zu tun. Ich weiß aber auch, dass es so wie es jetzt ist, auch nicht weiter gehen kann. Eine innere Zerrissenheit, deren Spannung ständig zunimmt. Wie sich aufschaukelnde Wellen, den einen Tag ist alles ganz OK, den nächsten Tag wieder mehr, dann wieder OK, dann noch mehr etc. Wie ein Karussell, welches sich immer schneller zu drehen beginnt. Und das produziert mein Leiden. Ich kann mich kaum noch auf meine Arbeit konzentrieren. Seit Jahren dreht sich mein Denken um diese eine Frage. Und es nimmt zu, es nimmt mich ein. Ich habe mal ein Zitat einer Transfrau aus den USA auf die Frage gelesen, was denn wohl das beste sei, nachdem sie ihre Transition abgeschlossen hatte: Ich denke nicht mehr über Geschlecht nach. Aus meiner Perspektive ein göttliches Geschenk. Was gäbe ich dafür, wenn dieses Grübeln endlich aufhörte!

[ In dem Forums-Thread wurde auch die Frage angesprochen, woher es käme, dass manche TS andere Sichtweisen als nicht echt oder „minderwertig“ abqualifizieren. ]

Und um nochmal auf die Frage nach „minderwertig“ zurückzukommen… niemand ist „minderwertig“, weniger leidend oder mehr hilfsbedürftig, nur weil man nicht in ein bekanntes Schema passt. Wenn die endlosen Diskussionen über Geschlechtsidentität einen eines gelehrt haben, dann dies, dass es eine höchst individuelle Angelegenheit ist. Wer hier versucht zu pauschalisieren, kann nur überwiegend falsch liegen, da man damit der großen Mehrheit Unrecht tut. Alleine hier im Forum tummeln sich soviele Beispiele für die unterschiedlichsten Auffassungen und Lebensgestaltungen. Und (fast) alle sind gleich valide. Es gibt für mich nur eine kleine Einschränkung, nämlich für jene, die sich noch nicht selbst gefunden haben. Doch auch diesen sollte man Verständnis entgegen bringen und ihnen helfen, sich selbst zu finden, statt ihnen womöglich falsche Muster überzuhelfen. „Minderwertig“? Nein. Dies ist keine Frage der Wertigkeit. Anders? Ja! Mit Respekt und auch etwas Neid können wir jene betrachten, die nicht mit ihrem Schicksal hadern und die eine hinreichende Klarheit erreicht haben. Und wir wünschen ihnen alles erdenklich Gute auf diesem Weg! Mit Interesse kann man diesen Weg verfolgen, sich bei Erfolgen mit freuen und bei Fehlschlägen zur Seite stehen. Doch wir sollten uns davor hüten, blind den ausgetretenen Pfaden zu folgen, ohne selbst die Karte gelesen zu haben.

Ach herrjeh, jetzt habe ich die Ursprungsfrage völlig aus den Augen verloren: Kann man sich sicher sein? Geht das überhaupt?
Ich glaube das ist extrem schwierig, also sowohl die Frage zu beantworten als auch diese Sicherheit zu haben. Letztenendes ist es eine bewusste Willensentscheidung, diesen Weg zu gehen. Und wie bei jeder solchen Entscheidung hätte man sich auch anders entscheiden können – Folgen jetzt einmal außer Acht gelassen. Es wäre daher, denke ich, höchst erstaunlich, wenn man sich nicht irgendwann die Frage stellen würde, wie wäre es wohl weiter gegangen, wenn ich mich anders entschieden hätte? Besonders Krisen, die vielleicht auf dem Weg liegen, werden diese Frage aufwerfen. Kann man sich jemals sicher sein? Es gibt wohl solche, die es sind. Doch für viele bleibt es eine Abwägung und doch noch eine latente Unsicherheit. Meist überwiegt wohl das Positive die Zweifel, sodass unter dem Strich eine gesteigerte Lebensqualität erreicht wird. Aber immer klappt das auch nicht. Eine Aktivistin einer SHG, wenn ich mich recht erinnere aus dem Ruhrgebiet, hat den Weg vor, zurück und wieder vor hinter sich, also MzF, dann unsicher geworden, alles wieder zurück FzM, auch nicht glücklich geworden und lebt jetzt doch wieder überwiegend als Frau. Dazu kann man jetzt stehen wie man will, aber auch dies gibt es also ganz offenbar. Eine doch erhebliche Menge sagen, dass es nach der Transition zwar besser ist, aber keinesfalls ausnahmslos rosig und die Frage, ob das denn alles so richtig war, doch immer mal wieder auftaucht.
Also sicher? So richtig ausnahmslos sicher? Völlig ohne wenn und aber oder die leisesten Zweifel?

Ich glaube das sind nur ganz wenige. Einige schreiben ihre eigenen Probleme und Zweifel auch lieber anderen zu – „die Gesellschaft ist schuld“, der Arbeitgeber, die Freunde, der Pöbel. Irgendjemand findet sich immer, dem die Schuld in die Schuhe geschoben werden kann, bevor man sich selbst eingesteht, dass es vielleicht doch ein Fehler war und man sich Dinge davon versprochen hat, die so nicht eingetreten sind. Ein Beispiel hatten wir dazu auch in der SHG, eine Transfrau die recht offen meinte, als Frau sei das Leben grundsätzlicher einfacher, man bekäme alles nachgetragen und man müsse nur sexy genug sein und alles flöge einem zu. Sie hat es in der Tat geschafft, Psychologen und Gutachter zu überzeugen, bekam alle Maßnahmen bewilligt, ist aber heute immernoch genauso arbeitslos und einsam wie zuvor. Ob sie nun Zweifel hat? Recht sicher. Ob sie an ihrer Entscheidung zweifelt? Vielleicht. Vielleicht schiebt sie es aber auch auf die Gesellschaft, die sie einfach nicht akzeptieren will – das ist sicherlich bequemer. Das möchte ich jetzt keinesfalls pauschal unterstellen, es ist nur ein Beispiel, wie so etwas leicht ablaufen könnte. Die SHG Leiterin sagt immer wieder gerne „TS braucht kein Mensch!“. Und ich denke sie hat Recht. Es ist ganz sicher nichts erstrebenswertes. Es ist nur eine bittere und unabdingbare Notwendigkeit für die Betroffenen.

1 thought on “Selbstzweifel Transsexueller – Oder, wie kann ich mir _sicher_ sein?

  1. PiaN

    Ein sehr gutes Posting, über das ich schon länger nachdenke!!
    Früher habe ich immer von mir gesagt, daß wir einen größeren weiblichen Anteil in uns haben. Dieses haben wir sogar als Vorteil und Begabung gesehen. Seit Anfang diesen Jahres haben wir uns mehr mit dem Thema „Transsexualität“ beschäftigt und seit dem läßt es uns nicht mehr los. Ich habe auch diese Unruhe und Zerrissenheit in mir. Wie ich damit weiter umgehen soll weiß ich im Moment noch gar nicht.
    LG Pia

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