Begegnungen – Flashback?

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Heute hatte ich zwei irgendwie doch interessante Begegnungen. Eigentlich waren es weniger Begegnungen, sondern eher Gespräche, denn es waren zwei Telefonate. Telefongespräche sind nach wie vor für mich etwas kritisch, denn wenn ich es nicht ausdrücklich dazu sage, werde ich meistens falsch erkannt, also als vermeintlicher Mann, und entsprechend auch angesprochen. Das nervt, doch wirklich verübeln kann ich es den Personen auf der anderen Seite nicht, denn durch das Telefon haben sie wenig andere Ansatzpunkte als die Stimme und die ist, leider leider, nach wie vor doch offenbar erkennbar männlich. Ja, kann man etwas dran tun und ja, ich habe es aus Zeitmangel und auch eigener Faulheit bisher ziemlich damit schleifen lassen.

Nun, also, heute hatte ich mal wieder zwei Telefonate, doch beide hatten einen gewissen Twist, eine Verdrehung gegenüber dem normalen Alltag. Es fing damit an, dass ich beim Service unseres privaten DSL Anschlusses anrufen wollte, um etwas Bestimmtes zu unserem Anschluss zu erfahren. Was spielt keine Rolle, wohl aber, dass der Anschluss noch „auf meinen Mann“ läuft. Ich habe noch nicht alles auf den neuen Vornamen umgestellt, teils auch schlicht aus Faulheit. Gerade bei dem DSL Anschluss ist mir das völlig egal, Hauptsache ist, er funktioniert und das tut er nun auch schon fast sieben Jahre lang. Doch nun wollte ich etwas wissen, Service per eMail gibt es nicht mehr, also musste ich anrufen. Genauer gesagt, „mein Mann“ musste anrufen, denn der ist ja Inhaber des Anschlusses.

Das war schon ein ganz schön sonderbares Gefühl. Es fing damit an, dass ich bewusst das unbewusste Achten auf meine Stimme abstellen wollte, denn ich wollte ja wieder glaubwürdig männlich klingen und nicht versuchen, nicht so zu klingen. Schon seltsam, da beschwere ich mich, dass ich am Telefon meist falsch erkannt werde und nun mache ich mir Gedanken? Na egal. Dann rief ich dort also an und, er konnte ja nichts dafür, der Mitarbeiter sprach mich immer wieder mit Herr Faerber an. Nun klar, so steht es da bei ihm! Doch jedesmal durchzuckte es mich, fast wie kleine elektrische Stromstöße – Zing! – irgendwie komisch, das Gefühl sagt falsch, der Verstand sagt richtig, zumindest in dieser Situation. Als ich auflegte fühlte ich mich in der Tat etwas seltsam. Da wurde ich nun seit fast zwei Jahren zum ersten mal wieder als Herr angesprochen, werte mich nicht dagegen und spielte das Spiel mit. Wie ging es mir damit?

Nur hatte ich nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken, denn da klingelte das Telefon, Firmenanschluss, es meldete sich eine Arbeitsvermittlungsagentur, die immer mal wieder nachfragen, ob wir Arbeitskräfte für bestimmte Projekte „verleihen“ würden. Nein, machen wir nicht. Die rufen allerdings so selten an, dass auch die von Nicole noch nichts wussten. Die Dame ging also davon aus, dass sie Herrn Faerber am Apparat hätte und ich hatte gerade keine Lust, ihr das nun irgendwie zu erklären und korrigierte sie nicht. Normalerweise ist das Gespräch nach ein paar Minuten vorbei, wenn ich dann sage, dass wir keine Leute verleihen. Doch irgendwie waren wir uns sympathisch und sie blieb noch kurz dran und ließ sich von mir drei vier technische Fragen zu dem angefragten Projekt erklären. Das war in der Tat ganz nett und als Kerl hätte ich vermutlich nicht so reagiert, sie hätte es wahrscheinlich gar nicht erst gefragt. Ich merke, dass ich gerade mit fremden Menschen anders umgehe als zuvor.

Nachdem wir also nun schon so nett geplaudert hatten, sagte ich es ihr am Ende doch, dass ich nun eigentlich Frau Nicole Faerber sei und ob sie dies denn mal in den Unterlagen korrigieren könne. Ich konnte sie nicht sehen, aber in meiner Vorstellung zuckte sie nichteinmal mit auch nur einer einzigen Wimper. Ja, natürlich könne sie das ändern, werde sie gleich notieren, also Anrede Frau und Vorname? Ach ja, Nicole, kein Problem. Und dann verabschiedete sie sich freundlich „Bis bald, Frau Faerber.“. Sie hat sofort umgeschaltet, ohne auch nur einen Anflug von Verwirrung, einer Rückfrage oder dem leisesten Zeichen von Skepsis. Ich hätte sie eigentlich mal fragen sollen, wie sie das so toll macht? Ob sie schon andere trans* Klient_innen hatte? Auch so einfach kann es sein.

Diese beiden Ereignisse hinterlassen mich nachdenklich. Ich möchte Ergründen, wie es mir damit ging. Wie war das, als ich am Telefon wieder Mann sein sollte? Was empfand ich dabei, bis auf das die Anrede ungewohnt war und sich aus eben jener Gewohnheit heraus falsch anfühlte. War da noch mehr? Fühlte sich das schlecht an? Oder gar gut? Was verbinde ich damit? Oder dem Fehlen davon?

Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass es sich vor gut zwei, drei Jahren auch komisch anfühlte, zum ersten mal als Frau angesprochen zu werden, mit dem anderen Vornamen und so weiter. Klar ist das komisch, denn 42 Jahre lang waren das nicht mein Pronomen und mein Vorname und nun sollte ich auf einmal darauf reagieren. Aber es fühlte sich, trotz des anfänglichen Widerstands wegen der fehlenden Gewohnheit, gut an. Es hatte etwas von externer Bestätigung und diese fühlte sich nicht nur gut, sondern auch richtig an. Jetzt wieder als Mann angesprochen zu werden ist natürlich auch zuerst wieder komisch, denn das ist jetzt nicht mehr Gewohnheit, es ist ein Ausnahmefall geworden und fühlt sich als solcher bereits komisch an. Als Ablehnung konnte ich es in diesen beiden Fällen auch nicht deuten, die Anrufer_innen wussten es ja nicht besser, ganz im Gegenteil war ja die Arbeitsvermittlerin am Ende super lieb damit.

Doch da war mehr als nur Ungewohntes. Letztes Jahr im April waren wir zum Urlaub all inclusive auf den Canaren. Wir wollten faul sein, was uns auch gelang. Das war auch gleichzeitig mein erster Strandurlaub seit meiner Transition und als solcher etwas spannend. Ich schrieb damals nach ein paar Tagen von der Insel nach Hause:

Meine Mutter fragte etwas besorgt, wie denn die Akzeptanz hier so sei.
Ich schrieb ihr Folgendes:

Sicherlich gibt es hier und da schonmal einen Blick. Doch alleine daran
kann man noch lange nicht sagen, was die da gucken. Wir gucken ja
schließlich auch andere Leute an? Hat das dann etwas damit zu tun, dass
wir deren Geschlecht in Frage stellen wollen? Nö. Sicherlich sind wir
hier ein eher ungewöhnliches Paar, aber hier gibt es genug andere
schräge Typen. Wir haben zumindest noch keinen einzigen Gesprächsfetzen
hinter unserem Rücken gehört oder mitbekommen, der irgendetwas damit zu
tun haben könnte. Ich glaube auch nicht, dass soetwas in größerem Maß
irgendwo stattfindet.

Einzig etwas blöd wird es immer, wenn ich meine Papiere vorlegen muss –
einchecken für das Flugzeug oder im Hotel. Gesagt hat da auch keiner
etwas, doch mir ist es schlicht etwas unangenehm. Was würde ich denn
wohl sagen, wenn die dann mal nachfragen würden? Das wäre dann schon
eine recht dämliche Situation – die nur zum Glück noch nicht auftauchte.
Also kein wirkliches Problem.
Eigentlich gar kein Problem

Und das genau ist auch wieder ganz spannend, denn ich werde mir dadurch,
und zusätzlich dadurch, dass wir hier mal aus unserem normalen Umfeld
längere Zeit heraus kommen, zunehmend bewusst, wie ich mich von „denen“,
also „den Kerlen“ entferne. Ich gucke sie mir an, die Silberrücken, die
Breitbeinigen, mit Wampe und Imponiergehabe, die meist Unglücklichen,
die Grummeligen, und werde mir immer stärker bewusst, dass ich keiner
von ihnen bin. Und ich genieße das sehr.

Indem ich das und die Unterschiede zwischen „denen“ und mir feststelle,
stelle ich aber auch fest, dass ich eigentlich nie wirklich einer von
ihnen war. Dort dazu zu gehören war für mich immer mit einer
Kraftanstrengung verbunden. Es war anstrengend und ermüdend, die
gefühlten Erwartungen zu erfüllen. Das habe ich natürlich zuvor nicht so
bemerkt, merke dafür aber nun den Unterschied. Denn nun hat alles eine
wunderbare Leichtigkeit, es fließt einfach dahin, ganz natürlich, so wie
es scheinbar sein sollte. Sehr viel Stress und Unbehagen, die zuvor für
Verunsicherung und eben diese ständige kraftraubende Anspannung sorgten,
sind vorbei.

So sitzen wir nun also hier in der Bar, ich betrachte die Menschen um
mich herum und freue mich einfach, dass ich da bin. Ich schaue sie mir
an, die Kinder, Mädchen, Jungen, Männer und Frauen und stelle langsam
fest, wie sich mein Zugehörigkeitsempfinden neu orientiert – ich bin
keiner mehr von ihnen, ich bin jetzt eine von ihnen. Wieder ein
Stückchen weiter also.

Was ich dort in diesem Urlaub feststellte war, das ich langsam und zum ersten mal in meinem Leben ein echtes Zugehörigkeitsempfinden zu meiner geschlechtlichen Gruppe entwickelte – oder nein, nicht entwickelte, ich entdeckte es eher. Zuvor hatte ich gar keines, denn ich passte in keine der beiden Gruppen, also war das eine falsch und das andere nicht erreichbar. Jetzt ist das eine immernoch falsch, aber das andere ist erreichbar und ich kann mich endlich immer weiter dort verwurzeln. Und das ist es glaube ich, was sich heute so komisch anfühlte. Es war nicht nur die ungewohnte Ansprache, sondern ein Ziehen und Zerren an meinen Wurzeln. Nein, aus dieser Erde möchte ich nicht mehr gezogen werden, hier gehöre ich hin, hier soll ich sein.