Transidente (transsexuelle) Menschen werden Stand heute immernoch an verschiedenen Stellen gezwungen, sich durch Psychologen oder Psychiater begutachten zu lassen. Dieser Umstand wird immer wieder kritisiert und ich komme eigentlich auch immer mehr zu dem Schluss, dass dies aufhören sollte.
Solange wir über die Gutachter für die Vornamens- bzw. Personenstandsänderung (VÄ/PÄ) sprechen, bin ich eigentlich mittlerweile der Ansicht, dass diese völlig überflüssig sind. Wofür sollten die gut sein? Dem Staat hat das Geschlecht und die Geschlechtsidentität einer Person völlig egal zu sein. Es gibt in Deutschland keine Rechtsnorm mehr, die einen Unterschied im Geschlecht machen würde. Wenn ein Mensch sich selbst einem anderen, als dem amtlich eingetragenen, Geschlecht zugehörig fühlt, dann hat der Staat das als Fakt hinzunehmen und zu akzeptieren. Es gibt keinen rational haltbaren Grund, warum der Staat das nicht können sollte.
Davon auch mal ganz abgesehen, sind die Implikationen aus dem Gutachterzwang alleine bereits Grund genug, dies abzulehnen. Organisationen wie TGEU und andere machen hier sehr gute Arbeit und haben ein gutes Erklärungsmodell dazu entwickelt,
dass auf der Charta der Menschenrechte der EU basiert. Denn schlussendlich läuft es darauf hinaus, dass die staatliche Einschränkung eine Einschränkung der Persönlichkeitsrechte darstellt. Wenn man sich das bis zum Ende überlegt, ist das alles eigentlich auch völlig schlüssig.
Es läuft letztenendes auf ähnliche Argumentationslinien hinaus, wie die Forderung nach der Homo-Ehe und deren Gleichstellung etc. Heute würde hierfür auch kein Mensch ein psychologisches Gutachten verlangen. Man stelle sich das mal vor, für die Eintragung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft müssten die Partner ein Gutachten vorlegen, dass bescheinigt, dass der Wunsch zu einem homosexuellen Zusammenleben schon länger als drei Jahre besteht und voraussichtlich nicht mehr revidierbar ist. Wäre das plausibel? Nein, eher nicht. Es ist eine ganz persönliche Entscheidung dieser Personen, sich ihrer eigenen sexuellen Orientierung entsprechend zu verhalten, zu geben und eben auch eine Partnerschaft einzugehen. Warum soll dies bei transsexuellen Menschen anders sein? Für den Staat sollte es keinen Unterschied machen und für nichts anderes
sind diese vom Gericht beauftragten Gutachten da.
Die jetzt aktuelle Lösung in Dänemark finde ich dahingehend eigentlich sehr gut. Man stellt einen Antrag beim lokalen Einwohnermeldeamt, ähnlich einer Ummeldung nach einem Umzug. Nach sechs Monaten ruft das Amt nochmal an und fragt nach, ob man sich noch sicher sei und wenn man dies bejaht, dann werden Vorname und Personenstand umgehend geändert. Fertig. Was spräche gegen eine solche Lösung?
Etwas anderes ist der medizinische Teil, da würde ich in der Tat etwas vorsichtiger sein. Einen formalen Amtsakt, wie die Änderung von Vorname und Personenstand, kann man relativ leicht wieder rückgängig machen – wenn man es denn möchte. Einmal entfernte oder stark veränderte Körperteile sind aber kaum zu rekonstruieren und wenn, dann
nur mit enormen Aufwand, Kosten und recht zweifelhaftem Ergebnis. Hier muss also wirklich klar sein, dass dieser Entschluss, soweit es zu einem Zeitpunkt überhaupt absicherbar ist, gesichert und anhaltend ist. Wie dies erfolgen kann, ja, das ist auch mir noch ein großes Rätsel. Ob das z.B. in jedem Fall Psychologen oder Psychiater sein müssen, dessen bin ich mir nicht sicher. Ich bin mir sogar grundsätzlicher unsicher, ob diese es überhaupt können? Außerdem gibt auch andere massiv verändernde Eingriffe und Maßnahmen, bei denen man sich nicht einer vorherigen langwierigen psychologischen Begutachtung unterwerfen muss. Warum müssen es dann
ausgerechnet wir Transsexuelle?
Es ist allerdings auch richtig, dass die ganze Transition für einige eine enorme Herausforderung darstellt. Sie sind oder werden dabei psychisch instabil und können
Hilfe gut gebrauchen. Für sie sollte es immer die Möglichkeit geben, eine Begleitung zu bekommen. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob dies unbedingt für alle Pflicht sein muss. Auch heute schon gibt es hier eine zwei Klassen „Medizin“, wir kennen das ja bereits aus anderen Bereichen. Die Privatpatienten haben dieses ganze Theater mit MDK und dem Kampf um Indikationen oder womöglich medizinische Gutachten meistens nicht und es funktioniert trotzdem.
Man könnte natürlich einwenden, dass damit vielleicht Personen ausgesiebt werden könnten, die nicht wirklich transident sind und dies aus anderen Gründen anstreben – sagen wir z.B. mal Fetischismus. Ja, das könnte sein. Doch würde man die in jedem Fall erkennen? Und damit dann auch davon abhalten können? Ich glaube nicht. Man kann es im Internet hoch und runter lesen, was man Gutachtern und Psycho* erzählen muss, damit man dies oder jenes bekommt. Für solche Leute schafft man also damit höchstens eine leicht zu überwindende Hürde, aber keinesfalls ein echtes Hindernis. Warum es dann allen schwer machen und damit auch denen, die es für ihre weitere Existenz wirklich müssen?
Ich kenne zugegebenermaßen nicht viele, aber darunter ist zumindest kein Beispiel für ein Scheitern wegen fehlender Begleitung oder Begutachtung. Wohl aber kenne ich einige, die gerade wegen der Zwangs-Begutachtung, Bremsen und teils widerlichen Infragestellung ihrer Identität in Schieflage geraten sind. Wäre es dann nicht vielleicht ratsamer, zum Wohle derer mit hohem Leidensdruck die paar Trittbrettfahrer in Kauf zu nehmen und sie ggf. an anderer Stelle zu „bändigen“?
Eines der Probleme, dass ich an dieser Stelle sehe ist, dass wir sozusagen im vorauseilenden Gehorsam denken. Wir wissen gar nicht, was passieren würde und wieviele es dann vielleicht mehr würden, wenn man den ganzen Prozess etwas offener gestalten würde. Ich habe wirklich ein Problem damit, mir sozusagen „Mißbrauch“ der Möglichkeiten
vorzustellen. Welcher Mann würde sich schon freiwillig einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie unterziehen wollen? Brustimplantate einsetzen lassen? Oder gar eine geschlechtsangleichende Operation (GaOp) anstreben? Welche Frau würde gerne Testosteron nehmen wollen, einen Bart wachsen lassen, die Brüste amputieren und womöglich
eine Phallo-Plastik haben wollen?
Denn das ist ja schlussendlich das einzige, worum es bei den Begutachtungen und Kämpfen mit Kassen und MDK geht: Die kostenintensiven medizinischen angleichenden Maßnahmen. Ob die Personen, die dies wünschen, tatsächlich die Rolle leben, wird doch nur zur Bedingung für die Bewilligung der Kostenübernahme gemacht. In dem
Moment, in dem die Bewilligung unterschrieben ist, endet abrupt das Interesse. Ist es dann wirklich eine gelebte Fürsorge(-pflicht) der Kassen? Oder ist es nicht doch nur das, was viele eher vermuten, nämlich eine künstlich geschaffene Hürde, um Kosten zu sparen?
Ich bin heilfroh, das ich z.B. auch nicht durch alle diese Reifen springen musste – nach einem 1/2 Jahr war der ganze Spuk vorbei. Gut, ich hatte keine große GaOp sondern „nur“ eine Orchiektomie, aber trotzdem. Meine Kasse wollte ausdrücklich keine Gutachten – das hätten sie ja selbst zahlen müssen. Den Rest haben die Ärzte gemacht. Ich bin zu ihnen hin, habe geschildert was ich warum anstrebe, die haben sich alles angesehen und dann die Überweisungen und Begleitscheiben geschrieben, genau wie bei jeder anderen ärztlichen Behandlung auch, die durchaus auch irreversible Folgen haben kann. Ich bin mittlerweile wirklich sehr unsicher, warum ausgerechnet um Transsexualität so ein überdimensionaler Aufriss gemacht wird? Es gibt sicherlich ein Dutzend oder mehr andere Probleme, die ähnliche Maßnahmen erfordern, aber völlig anders gehandhabt
werden. Ich bin völlig dafür, dass Transidente jede sinnvolle Hilfe ohne große Hürden in Anspruch nehmen können sollen – bspw. eine psychotherapeutische Begleitung. Aber ich denke, es sollte in Eigenverantwortung geschehen, ohne Zwang, solange keine direkte Notwendigkeit dazu besteht.
Ich muss aber auch ganz ehrlich zugeben, dass ich dieses Thema noch viel zu wenig recherchiert habe. Ich bin Ingenieurin und Naturwissenschaftlerin. Ich habe ein Problem mit Entscheidungen, die als Grundlage ein „ich glaube…“ haben. Ich möchte etwas deutlich belastbareres haben. Die Sache mit den Gutachtern und dem Prozess im Falle der VÄ/PÄ ist recht gut beackert und eine belastbare Linie und Kette bis hinunter zu den Menschenrechten konstruierbar. Das reicht mir eigentlich, wenngleich ich gestehen muss, diese Kette noch nicht völlig verinnerlicht zu haben, d.h. ich kann sie ad-hoc nicht wiedergeben, weiß aber wohl, wo ich es nachlesen kann. Der medizinische
Teil ist da deutlich schwieriger. Hierzu müsste man mal mit Ärzten sprechen, Fallbeispiele, Abwägungen zu anderen „Veränderungen“ und dem Vorgehen dabei etc. Das wäre mal eine sehr interessante Arbeit! Nur leider auch sehr aufwändig und zeitintensiv und gerade diese Zeit habe ich akut nicht – leider.