Lilly Wachowski – Statement auf Deutsch

Lilly Wachowski hat hier Ihre eigene persönliche Erklärung abgegeben, die auch allgemein, wie ich finde, durchaus einige gute Denkansätze enthält. Daher habe ich eine Übersetzung des ganzen Statements angefertigt – nicht perfekt, aber damit dann auch für alle lesbar, die kein oder nicht so gut Englisch verstehen:

„GESCHLECHTSUMWANDLUNG SCHOCK – WACHOWSKI BRÜDER NUN SCHWESTERN !!!“

Dies ist die Schlagzeile, auf die ich seit einem Jahr warte. Bis jetzt mit Angst und Augen rollend vor Verzweiflung. Diese „Neuigkeit“ ist bereits ein paar mal fast herausgekommen. Jedes mal wurde es eingeleitet durch eine ominöse eMail meines Agenten – Reporter hätten nach Stellungnahmen zu einem Artikel zu der „geschlechtlichen Transition von Andy Wachowski“, die sie veröffentlichen würden, gefragt. Als Antwort auf diese Drohung eines öffentlichen Outings gegen meinen Willen hatte ich eine Stellungnahme aus einem Teil Pisse, einem Teil Essig und 12 Teilen Benzin vorbereitet.

Sie enthielt viele wichtige politische Einsichten bezüglich der Gefahren, trans* Menschen zu outen und die schrecklichen Statistiken über Mordraten an trans* Personen. Nicht zu erwähnen, der leicht sarkastische Schluss, der „offenbarte“, dass mein Vater das Blut einer Gottesanbeterin in seinen väterlichen Hodensack injizierte, bevor er jedes seiner Kinder zeugte, um eine Brut von Super-Frauen zu erschaffen, versessen auf weibliche Dominanz. Okay, mega sarkastisch.

Aber es ist nicht geschehen. Die Redakteure dieser Publikationen druckten keine Geschichte, die als einzige Substanz ein wenig Anzüglichkeit besaß und potentiell fatale Auswirkungen haben könnte. Als Optimistin, die ich nunmal bin, schrieb ich es dem Fortschritt zu.

Dann, gestern Abend, als ich mich gerade fertig machte, um zum Abendessen auszugehen, klingelte es an der Tür. Vor der Tür stand ein Mann, den ich nicht erkannte.

„Dies könnte ein bisschen seltsam wirken,“ sagte er, mit einem britisch englischen Akzent.

Ich erinnere mich, dass ich seufzte.

Manchmal ist es wirklich harte Arbeit, eine Optimistin zu sein.

Er fuhr fort und erklärte, er sei ein Journalist der Daily Mail, die einer der größten Nachrichten Dienste Großbritanniens sei und definitiv keine Boulevard Zeitung. Und das ich mich morgen oder übermorgen wirklich mit ihm zusammensetzen sollte, damit ein Foto von mir gemacht werden und ich meine Geschichte erzählen könne, die ja so inspirierend sei! Und das ich nicht wirklich wollen könnte, dass mir jemand vom National Enquirer nachspioniert? Und übrigens – The Daily Mail ist ja völlig absolut keine Boulevard Zeitung.

Meine Schwester Lana und ich haben Pressekontakte vermieden. Über meine Kunst zu sprechen ist ermüdend und über mich selbst zu reden eine völlig demütigende Erfahrung. Ich wusste, dass ich an irgendeinem Punkt ein öffentliches Coming-Out haben würde. Wenn man offen als trans* Person lebt, ist es … schwer zu verbergen. Ich wollte – brauchte etwas Zeit, um mir klarer darüber zu werden, mich damit wohl zu fühlen.

Aber offenbar treffe ich diese Entscheidung nicht selbst.

Nachdem er mir seine Visitenkarte gegeben und ich die Tür geschlossen hatte, dämmerte es mir langsam wieder, in welchem Zusammenhang ich von der Daily Mail bereits gehört hatte. Es war die „Nachrichten“ Quelle, die einen großen Anteil an dem landesweiten Outing von Lucy Meadows hatte, einer Grundschullehrerin und trans* Frau in England. Ein Leitartikel in diesem „nicht Boulevard Magazin“ verteufelte sie als schädlichen Einfluss für die so zerbrechliche Unschuld der Kinder und schloss mit „er ist nicht nur im falschen Körper gefangen, sondern im falschen Job.“. Der Grund warum ich von ihr wusste war nicht, dass sie trans* war, sondern weil sie drei Monate nachdem der Artikel in der Daily Mail erschien, Suizid beging.

Und nun waren sie hier, an meiner Tür, als ob sie sagen wollten –

„Da ist noch eine! Zerren wir sie hinaus in die Öffentlichkeit, damit wir alle sie betrachten können!“

Trans* zu sein ist nicht einfach. Wir leben in einer Mehrheitsbestimmten zweigeschlechtlichen Welt. Das bedeutet, dass wenn du trans* bist, du dir über die harte Realität klar sein musst, dass du den Rest deines Lebens in einer Welt verbringen wirst, die Dir offen feindseligen gegenüber tritt.

Ich bin eine der Glücklichen. Durch die Unterstützung meiner Familie und die Möglichkeit, mir Ärzte und Therapeuten leisten zu können, konnte ich diesen Prozess überleben. Trans* Menschen ohne Unterstützung, Möglichkeiten und Privilegien haben diesen Luxus nicht. Und viele überleben dies nicht. 2015 erreichte die Zahl der trans* motivierten Morde in diesem Land [den USA, Anm. d. Übersetzerin] ein Allzeithoch. Die schrecklich überwältigende Mehrzahl der Opfer waren trans* Frauen of Color. Und dies sind nur die aktenkundigen trans* Morde, denn nicht alle Mordopfer passen in die klar binär geschlechtergetrennten Mord-Statistiken, was bedeutet, dass die tatsächlichen Zahlen höher sind.

Und obwohl wir seit „Das Schweigen der Lämmer“ ein großes Stück weiter gekommen sind, werden wir immernoch in den Medien verteufelt und verunglimpft, wo wir mit Anzeigenkampagnen angegriffen werden, die uns als potentielle Raubtiere darstellen, um uns sogar davon abzuhalten, die verdammte Toilette zu benutzen. Die sogenannten Toiletten-Gesetze, die gerade überall im Land auftauchen, sorgen nicht für die Sicherheit unserer Kinder, sie zwingen trans* Menschen dazu, die Toiletten zu benutzen, wo sie geschlagen oder umgebracht werden. Wir sind keine Raubtiere, wir sind Beute.

Also ja, ich bin trans*.

Und ja, ich habe meine Transition hinter mir.

Meine Freunde und Familien wissen bescheid. Am Arbeitsplatz wissen es auch die meisten Menschen. Jede_r ist cool damit. Ja, Dank meiner wunderbaren Schwester haben sie das schon einmal mitgemacht, doch sie sind auch fantastische Leute. Ohne die Liebe und Unterstützung meiner Frau und von Freunden wäre ich nicht, wo ich heute bin.

Aber diese Worte „trans*“ und „Transition“ sind schwierig für mich, weil sie ihre Komplexität durch die Assimilierung in den Mainstream verloren haben. Die Abstufungen durch Zeit und Raum gingen dabei verloren. Trans* zu sein wird größtenteils als einzig existent zwischen den dogmatischen Begriffen männlich und weiblich verstanden. Und eine Transition zu machen impliziert eine gewisse Unverzüglichkeit, ein zuvor und danach, von einem Endpunkt zu einem anderen. Aber in Realität ist meine Wirklichkeit, dass ich immer bereits „transitioniere“ und dies für den Rest meines Lebens tun werde, durch die Unendlichkeit, die sich zwischen männlich und weiblich befindet, genau wie die Unendlichkeit zwischen Null und Eins. Wir müssen den Dialog über die Simplifizierung der Binarität erheben. Binarität ist ein falsches Ideal.

Nun, Gender-Theorie und Queer-Theorie verursachen meinem kleinen Hirn Schmerzen. Die Kombination der Worte, wie Freeform Jazz, klingen in meinen Ohren unzusammenhängend und schief. Ich versuche Queer- und Gender-Theorie zu verstehen, aber es ist anstrengend, so anstrengend, wie meine eigene Identität zu verstehen. In meinem Büro liegt ein Zitat von José Muñoz, dass mir ein guter Freund gab. Manchmal betrachte ich es nachdenklich, um seine Bedeutung zu entschlüsseln, doch der letzte Satz hallt nach:

„Queerness ist im Wesentlichen die Ablehnung des Hier und Jetzt und ein Beharren auf der Möglichkeit einer anderen Welt.“

Also werde ich eine Optimistin bleiben und meinen Beitrag zur Sisyphusarbeit des Fortschritts leisten und mit meiner bloßen Existenz ein Beispiel für die Möglichkeit einer anderen Welt sein.

Lilly Wachowski

[ Inoffizielle Übersetzung von Nicole Færber ]

Nachfolgend der englische Originaltext:

„SEX CHANGE SHOCKER—WACHOWSKI BROTHERS NOW SISTERS!!!“

There’s the headline I’ve been waiting for this past year. Up until now with dread and/or eye rolling exasperation. The „news“ has almost come out a couple of times. Each was preceded by an ominous email from my agent—reporters have been asking for statements regarding the „Andy Wachowski gender transition“ story they were about to publish. In response to this threatened public outing against my will, I had a prepared a statement that was one part piss, one part vinegar and 12 parts gasoline.

It had a lot of politically relevant insights regarding the dangers of outing trans people, and the statistical horrors of transgender suicide and murder rates. Not to mention a slightly sarcastic wrap-up that „revealed“ my father had injected praying mantis blood into his paternal ball-sac before conceiving each of his children to produce a brood of super women, hellbent on female domination. Okay, mega sarcastic.

But it didn’t happen. The editors of these publications didn’t print a story that was only salacious in substance and could possibly have a potentially fatal effect. And being the optimist that I am, I was happy to chalk it up to progress.

Then last night while getting ready to go out for dinner my doorbell rang. Standing on my front porch was a man I did not recognize.

„This might be a little awkward,“ he said in an English accent.

I remember sighing.

Sometimes it’s really tough work to be an optimist.

He proceeded to explain he was a journalist from the Daily Mail, which was the largest news service in the UK and was most definitely not a tabloid. And that I really had to sit down with him tomorrow or the next day or next week so that I could have my picture taken and tell my story which was so inspirational! And that I really didn’t want to have someone from the National Enquirer following me around, did I? BTW—The Daily Mail is so definitely not a tabloid.

My sister Lana and I have largely avoided the press. I find talking about my art frustratingly tedious and talking about myself a wholly mortifying experience. I knew at some point I would have to come out publicly. You know, when you’re living as an out transgender person it’s … kind of difficult to hide. I just wanted—needed some time to get my head right, to feel comfortable.

But apparently I don’t get to decide this.

After he had given me his card, and I closed the door it began to dawn on me where I had heard of the Daily Mail. It was the „news“ organization that had played a huge part in the national public outing of Lucy Meadows, an elementary school teacher and trans woman in the UK. An editorial in the „not-a-tabloid“ demonized her as a damaging influence on the children’s delicate innocence and summarized „he’s not only trapped in the wrong body, he’s in the wrong job.“ The reason I knew about her wasn’t because she was transgender it was because three months after the Daily Mail article came out, Lucy committed suicide.

And now here they were, at my front door, almost as if to say—

„There’s another one! Let’s drag ‚em out in the open so we can all have a look!“

Being transgender is not easy. We live in a majority-enforced gender binary world. This means when you’re transgender you have to face the hard reality of living the rest of your life in a world that is openly hostile to you.

I am one of the lucky ones. Having the support of my family and the means to afford doctors and therapists has given me the chance to actually survive this process. Transgender people without support, means and privilege do not have this luxury. And many do not survive. In 2015, the transgender murder rate hit an all-time high in this country. A horrifying disproportionate number of the victims were trans women of color. These are only the recorded homicides so, since trans people do not all fit in the tidy gender binary statistics of murder rates, it means the actual numbers are higher.

And though we have come a long way since Silence of the Lambs, we continue to be demonized and vilified in the media where attack ads portray us as potential predators to keep us from even using the goddamn bathroom. The so-called bathroom bills that are popping up all over this country do not keep children safe, they force trans people into using bathrooms where they can be beaten and or murdered. We are not predators, we are prey.

So yeah, I’m transgender.

And yeah, I’ve transitioned.

I’m out to my friends and family. Most people at work know too. Everyone is cool with it. Yes, thanks to my fabulous sister they’ve done it before, but also because they’re fantastic people. Without the love and support of my wife and friends and family I would not be where I am today.

But these words, „transgender“ and „transitioned“ are hard for me because they both have lost their complexity in their assimilation into the mainstream. There is a lack of nuance of time and space. To be transgender is something largely understood as existing within the dogmatic terminus of male or female. And to „transition“ imparts a sense of immediacy, a before and after from one terminus to another. But the reality, my reality is that I’ve been transitioning and will continue to transition all of my life, through the infinite that exists between male and female as it does in the infinite between the binary of zero and one. We need to elevate the dialogue beyond the simplicity of binary. Binary is a false idol.

Now, gender theory and queer theory hurt my tiny brain. The combinations of words, like freeform jazz, clang disjointed and discordant in my ears. I long for understanding of queer and gender theory but it’s a struggle as is the struggle for understanding of my own identity. I have a quote in my office though by José Muñoz given to me by a good friend. I stare at it in contemplation sometimes trying to decipher its meaning but the last sentence resonates:

„Queerness is essentially about the rejection of a here and now and an insistence on potentiality for another world.“

So I will continue to be an optimist adding my shoulder to the Sisyphean struggle of progress and in my very being, be an example of the potentiality of another world.

Lilly Wachowski