Nach längerer Pause dachte ich mir, ich berichte mal wie es nach diesem denkwürdigen Essen weiter ging….
Im Nachhinein bin ich unendlich froh, dass ich das mit dem Essen und ausgerechnet auch mit den beiden so gemacht habe. In den Tagen danach wuchs dadurch mein Selbstbewusstsein enorm. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie die folgende Zeit wohl verlaufen wäre, wenn dieser Abend ein Reinfall geworden wäre!? Nein nein, also ganz super und so soll es auch bleiben.
Davon also beflügelt habe ich die nächsten Outings geplant. Die nächsten waren dann ein weiteres eher lose befreundetes Paar, die ich von der Arbeit in einer anderen Gruppe kannte (eher politische Gruppe, hat nichts mit Trans* zu tun). Aus dieser Gruppe war ich letzten November eher sang- und klanglos verschwunden, als ich eben merkte, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Eigentlich wollte ich nur ein wenig kürzer treten, um mehr Zeit für mich zu haben. Doch daraus wurde dann eher ungewollt eine totale Sendpause. Das Sendungsrogramm hatte sich geändert, um im Bild zu bleiben, und landete dann eher hier, als in dieser Gruppe.
Nun, da ich nun weiß wohin mich mein Weg führen wird, wollte ich also auch die mir wichtigen Personen dieser Gruppe zu meinem Vortrag am 22.5. einladen, damit sie endlich erfahren, warum ich denn auf einmal verschwand. Die Einladung begann mit einer großen Entschuldigung meinerseits für mein Verschwinden.
Erschreckenderweise bekam ich auf diese Einladung bis heute nur exakt eine Antwort – eben von jenem besagten Paar. Ihre Antwort begann direkt mit einer für mich positiven Überraschung. Denn obwohl wir uns nicht sehr gut kannten, war das erste was sie mir schrieben, dass sie sich auch gewundert hätten, aber so wie sie mich kannten war ihnen klar, dass meine Gründe vernünftig und sehr wichtig gewesen sein müssen. Das freute mich schonmal! Es zeigt großes Vertrauen. Also wollte ich das auch erwidern und habe es ihnen erklärt – alles.
Ihre Reaktion war völlig großartig! Sehr verständnisvoll und mit größtmöglicher Akzeptanz. Anfang April sehen wir uns dann zum Kaffee persönlich und dann werden sie
Nicole mal kennenlernen. Ich muss offen gestehen, mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Aber gerade deshalb freut es mich um so mehr! Ich lerne jetzt viele Menschen von einer ganz neuen und sehr persönlichen Seite kennen. Das ist ganz schön toll! Ich bin sehr gespannt, ob diese persönliche Ebene auch anhalten wird oder ob dies
jetzt nur ein kurzfristiges Phänomen ist, solange man noch etwas sehr persönliches zu erzählen hat? Ich fände es sehr schön wenn es anhielte, denn irgendwie merke ich auch, wie mir dies schon lange gefehlt hat.
Vor knapp drei Wochen waren wir dann bei einem weiteren befreundeten Paar zum Essen eingeladen, von deren einer Tochter wir auch Pateneltern sind. Ich ging dort schon recht uneindeutig hin, langer schwarzer Rock, blickdichte schwarze FSH, flache Damenschuhe und weiße leicht decolletierte Bluse. Also für einen Mann war das schon ganz schön „androgyn“. Aber sie kannten mich bereits mit etwas „besonderen“ Outfits sowie Herren-Röcken, daher war das nicht sooo ungewöhnlich. Seine erste Reaktion war, kurz nachdem wir dort waren, er käme sich underdressed vor, ich sei so schick – danke Aber kein kritisches Wort, obwohl er schonmal gerne mit seinem etwas losen Mundwerk ausrutscht. Das war auch der Grund, warum ich etwas
Bammel vor dem Abend hatte, dass ihm ein blöder Kommentar (die ihm auch hinterher leid tun) rausrutschen könnte.
Es dauerte eine Weile, bis die Kinder im Bett waren etc., bis wir dann endlich zum Punkt kamen. Sie waren ersteinmal etwas perplex, aber nur ein paar Minuten und dann
war das Thema eigentlich erledigt Natürlich haben wir uns noch eine ganze Weile darüber unterhalten, wie denn nun meine weiteren Pläne sind etc. Aber keinerlei in Frage Stellung, sondern eigentlich von der ersten Minute an völlige Akzeptanz – und ganz von alleine entschuldigten sie sich schon vorsorglich, dass es nicht böse gemeint sei, wenn ihnen noch ein „er“ rausrutsche. Es hat offenbar bei beiden einige Tage gedauert, bis das wirklich in ihrem Verstand ankam. Sie sagte später, dass sie im Nachhinein hauptsächlich erstaunt darüber war, wie wenig erstaunt sie darüber ist
Er sagte mir später, dass er das etwas bedauere – sein männlicher Freundeskreis sei damit noch weiter geschrumpft. Was wieder zu einer interessanten Frage führt – was zeichnet denn die Mitgliedschaft in diesen Freundeskreisen aus? Was macht einen in diesem Sinne zum Mann oder zur Frau? Und er bedauerte es, dass er mich nun nicht mehr seinen Töchtern als lebendes Beispiel für Männer in Röcken nennen könne
Das letzte was er noch sagte ließ dann wieder mein Herz etwas hüpfen – er hätte sich schon etwas zusammen nehmen müssen, um nicht gleich meine alte eMail Adresse auf den neuen Namen umzustellen – welch großartige Akzeptanz, einfach toll.
Etwas weniger toll war das Wochenende zwei Wochen später bei meinen Eltern. ich möchte da gar nicht groß auf Details eingehen, nur so viel – volle Toleranz, aber gefühlt eher keine Akzeptanz. Ihre größte Sorge schien zu sein, wie sie das nun beträfe und wie sie denn nun damit zurecht kommen könnten. Wie ich mich 30 Jahre lang damit gefühlt habe, spielte eher keine Rolle, sondern eher welche Veränderungen sie denn nun in nächster Zeit von mir zu erwarten hätten – und bei ihren Fragen konnte man deutlich spüren wie sie sich fragten, wie sie damit zurecht kommen sollten und nur, wenn überhaupt, sekundär wie ich damit werde leben können oder was mir das alles bedeutet.
Das hat mich ganz schön mitgenommen. Auf einmal waren sie wieder da, diese Zweifel, ob das denn wirklich alles sein müsse. Was tue ich den beiden nur damit an?
Ich habe gut eine Woche gebraucht, um aus diesem Loch wieder raus zu kommen.
Meine Eltern machen demnächst Urlaub mit meinem Onkel und meiner Tante. Meine Mutter fragte mich noch, ob ich etwas dagegen hätte, wenn sie es ihnen erzählen würde. Leichtsinnig, und an dem Abend wohl auch etwas Rotwein betäubt, sagte ich nein, natürlich könne sie das, wenn sie wolle. Erst päter ging mir auf, dass das vielleicht keine gute Idee sein könnte, wenn sie, die sie so wenig Verständnis dafür zeigten, es Dritten erzählen oder gar erklären sollten.
Also bin ich Anfang der Woche pro-aktiv geworden und habe Onkel und Tante angedeutet, dass da eine etwas sonderbare Neuigkeit auf sie zu käme. Dienstag Abend schickte ich
ihnen dann eine lange erklärende eMail – ich mache die Erfahrung, dass es besser ist, wenn Menschen, die sich für einen interessieren, besser damit klar kommen, wenn sie das zuersteinmal in Ruhe für sich lesen und verarbeiten können, als die Neuigkeit direkt persönlich gesagt zu bekommen. Die Zeit nach dem Absenden der eMail bis zu ihrem Anruf schien ewig und ich machte mir schon etwas Sorgen. Würden sie vielleicht auch wie meine Eltern reagieren?
Das krasse Gegenteil war der Fall!
Zuerst rief meine Tante an und drückte ihren allergrößten Respekt vor
meinem Mut zu dieser Entscheidung aus. Es klang schon fast bewundernd,
dass ich nun etwas in die Realität umsetze, was ich so lange
verschwiegen und unterdrückt habe. Und sie sicherte mir ihrer beider
vollste Unterstützung zu – immer und bei allem. Ich war ehrlich gerührt.
Meine Tante sagte, dass mein Onkel noch nicht mit mir reden wollte –
ich machte mir etwas Sorgen. Sie meinte aber, es sei alles OK. Gut eine
halbe Stunde nachdem wir aufgelegt hatten rief er nochmal an. Es dauerte
bei ihm einfach länger, weil er die Mail nocheinmal in Ruhe von vorne
lesen musste
Wir unterhielten uns dann bestimmt noch gut eine Stunde und es war
wunderschön! So viel Verständnis und ehrliches Interesse, ganz ernst
gemeinte und gute Fragen und immer wieder der Ausdruck völliger
Akzeptanz. Ich war völlig gerührt.
Ja, so sieht das nun aus, das ist der aktuelle Stand der Dinge.
Bei
meiner Krankenkasse ist, obwohl noch keinerlei Gutachten oder Ähnliches
vorliegt, Vorname und Anrede bereits geändert. Bei meinem Hausarzt und
dem IPL Studio ebenso. So langsam fängt es an, etwas verwirrend zu
werden, wo man denn wer und wie ist? Und die Bekannten, die bereits
Nicole kennengelernt haben sagen mir, dass sie sie vermissten. Es wird
Zeit, dass der Mai zu Ende geht und damit die letzten Schranken fallen.
Andererseits habe ich auch etwas Respekt davor – was für eine
Alltags-Frau werde ich dann sein? Bisher sind es ja eher kurze Episoden –
tolle Episoden, aber eben nicht Alltag. Wie wird das dann sein? Wie
werde ich dann sein? Was mache ich dann, aus dieser großen endlich
gewonnenen Freiheit? Das wird noch richtig spannend!
Am 22.5. ist
ja dann der Vortrag, der sozusagen dem Rest meiner Freunde und
Bekannten vermitteln soll, was mit mir los ist und was nun passieren
wird. Der Titel wird sein, ich erwähnte es bereits, „Hacking Gender“.
Der Abend des Vortrags, also 22.5.2014, ist dann voraussichtlich auch
mein letzter Tag als Mann – schon irgendwie völlig verrückt, wenn man so
darüber nachdenkt: „Mein letzter Tag als Mann“. Werde ich ihn
vermissen? Wird mir dann etwas fehlen? Wird er anderen fehlen? Wird anderen etwas an mir fehlen?
Genau
genommen ist mir das eigentlich eben erst, als ich den Satz schrieb,
richtig bewusst geworden. Wo ich gerade darüber nachdenke, bekomme ich
Schmetterlinge im Bauch aber auch feuchte Augen. Ist das Angst oder Freude?
Oder beides?
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob es denn
unbedingt nur dieses Entweder/Oder geben kann, also nur Mann und nur
Frau. Ich könnte mir soviel Last und Ärger ersparen, mich eben nur dort
wo es „einfach“ ist auszuleben und Frau zu sein. Doch je mehr ich den
Weg gehe, desto mehr stelle ich eben fest, es ist schlicht nicht
praktikabel. Es fängt damit an, so gerne wir alle dies auch hätten, dass
Dritte damit völlig überfordert sind. Familie, Freunde und Bekannte
sind völlig verwirrt, wenn man mal so und mal so auftaucht. Und ich
merke es ja nun auch schon selbst, obwohl ich noch nur wenig „außerhalb“
als Nicole bekannt bin, dass ich aufpassen muss, wer in welcher
Situation welche „Rolle“ von mir erwartet. Und das alles würde ja noch
viel extremer werden, je mehr ich „out“ bin. Aber es ist natürlich nicht
nur das. Je mehr ich out bin, desto weniger groß ist die Notwendigkeit,
nochmal im alten Ego aufzutreten. Es überlebt sich sozusagen von
selbst. Und je weiter ich komme, desto mehr komme ich zu der Einsicht,
dass das auch ganz gut so ist.
Bis dahin muss ich aber noch ein paar mir etwas wichtigere Freunde und vor allem die Partner in der Firma einweihen.
Noch viel zu tun, für nur noch knapp 7 Wochen!