Anlässlich des heutigen Transgender Day of Visbility, 31. März 2020
Lid straffen, Lippen aufspritzen, Stirn Lifting, Brustvergrößerung, Wangen- und Lippenimplantate, Nasenkorrektur und so weiter und so weiter. Alles dies sind gefährliche und meist nicht völlig rückgängig zu machende medizinische Eingriffe. Tätowierungen an beliebigen Stellen des Körpers, großflächig oder klein, Piercings und andere Körperveränderungen sind dauerhafte Eingriffe in den Körper, die sogar nicht Mediziner_innen legal an Menschen täglich zu hunderten durchführen. Alle diese Maßnahmen können ein Menschenleben dauerhaft und unumkehrbar tiefgreifend verändern. Sie können zu Ausgrenzung und Diskriminierung führen und damit großes Leid bei den Betroffenen auslösen, für den Rest ihres Lebens.
„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“, so sagt es das Grundgesetz in Artikel 2, mit der Einschränkung „soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“. Solche Veränderungen sind als Ausdruck der Persönlichkeit und im Rahmen dieses Entfaltungsrechts erlaubt. Dies ist auch gut so, in einer freiheitlich pluralistischen Gesellschaft.
Personen, die solche Veränderungen an anderen Menschen durchführen, müssen sich zuvor von der Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit der zu behandelnden Person überzeugen und dürfen im Zweifelsfall die Eingriffe nicht vornehmen. So bestimmt es auch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB).
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt…“, so steht es der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Wir möchten davon ausgehen, dass alle Menschen frei sind, frei in ihren Entscheidungen und unterstellen allen zunächst, dass sie diese Entscheidungen auch mit Vernunft treffen. Nur in ganz besonderen Fällen schränken wir Grundrechte, wie die freie Entfaltung oder die freie Entscheidung ein, nämlich dann, wenn davon auszugehen ist, dass eine Person gerade nicht einsichts- oder entscheidungsfähig ist. Die Grenzen hierfür sind sehr eng gesteckt, denn es geht schließlich um Einschnitte in Grundrechte.
Eine solche Grenze sind psychische Erkrankungen, die zeitweise oder dauerhaft die Vernunft einer Person außer Kraft setzen oder stark beeinträchtigen. Es gibt aber auch noch eine weitere solche Grenze, die jedoch nirgends ausdrücklich benannt wird, nämlich das Geschlecht. Der Deutsche Staat verweigert seit Jahren, rechtlich gegen die medizinisch chirurgische Zwangsnormierung von neugeborenen intersexuellen Kindern vorzugehen. Besser wäre es vorzuschreiben abzuwarten, bis diese einsichts- und entscheidungsfähig sind, um selbst über sich und ihren Körper zu bestimmen. An anderer Stelle verweigert der Staat einsichts- und entscheidungsfähigen Menschen, eigens über ihre Reproduktionsorgane zu bestimmen, dies verbietet, bis auf sehr wenige Ausnahmen, das Kastrationsgesetz.
Die Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen wird in Deutschland nach wie vor nach der Geburt am Genital bemessen – im wahrsten Sinne des Wortes. Sollte eine Person im Verlauf ihrer Entwicklung jedoch feststellen, dass sie sich nicht mit dem ihr bei Geburt zugewiesene Geschlecht identifizieren kann, so gilt für sie das seit 1981 weitgehend gültige Transsexuellengesetz (TSG).
Das TSG folgt der Auffassung, dass trans* Menschen unter einer tiefgreifenden psychischen Störung leiden, ihnen also hinsichtlich ihrer persönlichen Geschlechtszugehörigkeit die nötige Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit fehlt. Entsprechend darf nur im Ausnahmefall und nach intensiver zweifacher psychologischer oder psychiatrischer Begutachtung dem Wunsch einer solchen Person nachgegeben werden und der amtliche Gechlechtseintrag und auf Wunsch auch der Vorname geändert werden.
Dann ist doch alles klar, könnte man meinen?
Falsch. Seit Jahrzehnten wurde wissenschaftlich darum gerungen, ob zum Beispiel Homosexualität eine Krankheit sei und wenn ja, in welchen Fachbereich diese denn fiele. Mit immer besseren Untersuchungsmethoden musste man bald feststellen, dass es sich wohl um kein nachweisbares körperliches „Leiden“ handelte und so blieb als einziges noch eine psychische Erkrankung übrig. Doch auch dies wurde immer zweifelhafter, bis man dann 1992 endlich ein Einsehen hatte und fortan nicht mehr von einem krankhaften und damit heilungsbedürftigen Zustand sprach. Im Gegenteil ist heute Homosexualität unter staatlichen Diskriminierungsschutz gestellt, ein Verbot von Konversionstherapien ist gerade in Arbeit.
Homosexuelle Menschen genießen rechtliche Gleichstellung mit heterosexuellen, inzwischen bis zur Ehe. Die Frage, ob sich ein Mensch hetero- oder homosexuell empfindet, wird dabei jedem selbst überlassen, wenngleich die Auswirkungen davon lebensverändernd, teils irreversibel und sehr weitreichend sind. Doch man musste einsehen, dass trotz jahrzehntelanger intensiver Suche keine objektivierbaren Kriterien gefunden werden konnten, die entweder eine körperliche oder psychische Ursache nachweisbar, schon gar nicht „heilbar“ machten. Es ist eine dieser Entscheidungen der persönlichen Entfaltung – bin ich homosexuell? Und wenn ja, wie gehe ich damit um?
Selbstverständlich soll unsere freiheitlich pluralistische Gesellschaft die Selbstwahrnehmung eines Menschen achten, die Einsicht und entsprechende Entscheidungen akzeptieren und die Person in ihrer freien Entfaltung beschützen. Dies gilt universell, für alle und entsprechen auch für homosexuelle Menschen. Nur nicht für trans* Menschen.
Genau hier liegt eine der letzten großen Barrieren unseres Staates und unserer Gesellschaft, die Selbstbestimmung über das eigene, persönliche Geschlecht. Nach aktuell gültigen medizinischen Standards gelten trans* Menschen in Deutschland nach wie vor als psychisch krank, der aktuell noch gültige ICD-10-GM listet „Transsexualität“ als F64.0 in der Kategorie der „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“. Auf genau dieser Annahme basiert auch das Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1981.
Dabei ist sich die medizinische Wissenschaft inzwischen einig, Trans* oder „Geschlechtsdysphorie“, wie es neu heisst, ist an sich keine psychische Störung und schon gar keine Krankheit. Wohl aber kann trans* zu sein psychische Erkrankungen auslösen, nämlich gerade dann, wenn trans* Menschen ihre freie Entfaltung verwehrt wird. Ebenfalls wissenschaftlicher Konsens ist, dass es keine objektivierbaren diagnostischen Kriterien gibt, anhand derer Dritte bestimmen könnten, ob eine Person trans* ist oder nicht; was damit auch ganz direkt gegen die zweifache Begutachtungsvorschrift des TSG spricht.
Niemand kann über eine andere Person sagen, ob diese trans* sei oder nicht. Was wir aber sehr wohl sagen können ist, wird eine trans* Person durch Dritte permanent infrage gestellt oder gar gezwungen, sich als nicht-trans* zu geben (vgl. Konversionstherapie), dann sind schwere psychische Erkrankungen bishin zu Suizid sehr wahrscheinlich – eine US-Amerikanisch Studie gibt die Suizidalität bei trans* Jugendlichen als mehr als das Zehnfache gegenüber der allgemeinen Bevölkerung an; bis zu 50% der befragten trans* Jugendlichen gaben an, mindestens einmal ernsthafte Suzidgedanken gehabt oder sogar bereits Versuche hinter sich zu haben.
Wenn wir also wissen, dass niemand das trans*-Sein einer Person überprüfen kann, wir aber ebenso wissen, dass es trans* Menschen krank macht, wenn man sie zum Unterdrücken ihres Seins zwingt, sie damit sogar bis in den Suizid treiben kann, worauf warten wir dann noch?
„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ – auch trans* Menschen.
(c) 31. März 2020, CC-BY Nicole Faerber