Im Spiegel online erschien kürzlich ein schöner Artikel [1], der auf einfühlsame Art beschreibt, wie Kinder einen ganz wunderbaren Umgang mit etwas scheinbar so unfassbaren wie den Tod eines nahen Verwandten haben können, sodass Erwachsene nur staunen können.
Der Artikel hat mich sehr bewegt und tief berührt und ich fragte mich warum.
Seit ich zu mir fand, berühren mich einige Dinge und Themen sehr tief – so tief, dass mir oft das Wasser in den Augen steht – und so manches mal auch weit darüber hinaus.
Es sind vor allem Zeichen bedingungsloser Zuwendung, die mich sehr schnell an diese Grenze bringen – bedingungsloser Respekt, bedingungslose Würde, bedingungslose Liebe, bedingungslose Anerkennung, bedingungslose Wertschätzung etc.
Ihrer Bedingungslosigkeit liegt die tiefste Form von Ehrlichkeit zu Grunde. Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sind die Grundlagen für Empathie und damit für Menschlichkeit.
Ich habe seinerzeit meinen Zivildienst in einer Werkstatt für, zumeist geistig, Behinderte gemacht. Neben vielem anderen sind viele geistig Behinderte mit einer kindlichen Naivität gesegnet, einer Natürlichkeit, die uns „Normalos“ durch Erziehung und Sozialisation abhanden gekommen ist. Es fällt uns unendlich schwer, bedingungslos ehrlich zu anderen und oft genug auch zu uns selbst zu sein. Wir haben schiere Panik und Angst davor, verwechseln diese Ehrlichkeit mit Kritik oder gar Spott oder fürchten uns vor Konsequenzen, die wir eigentlich gar nicht absehen können. Wir antizipieren die Rezeption und verstellen uns damit.
Kindermund tut Wahrheit kund – es ist diese Naivität, die Kinder noch haben und die uns Erwachsenen abhanden kam, die in Schilderungen wie in dem Spon Artikel wunderbar zum Ausdruck kommt. Durch unsere Verbildung können wir die völlig basalen Zusammenhänge nicht mehr anerkennen – „Opa summt nicht mehr…“. Wir versuchen unsere Authentizität, unsere Ehrlichkeit und unsere instinktive Empathie wegzurationalisieren, anstatt das ganz Naheliegende an uns heran zu lassen und einfach zu akzeptieren.
Das das ausgerechnet mich nun immer wieder so tief berührt, hat vielleicht auch etwas mit der eigenen Geschichte zu tun, dem selbst nicht eingestehen wollen, der eigenen Verleugnung, dem Nichtvertrauen auf die eigenen Empfindungen, der eigenen Geringschätzung, dem mangelnden Selbstrespekt und der Unaufrichtigkeit sich selbst gegenüber.
Ich glaube alle sollten viel naiver und viel aufrichtiger sein, dann kommt ein respektvoller und würdevoller Umgang miteinander, sozusagen als Bonus, ganz von alleine hinterher.
Jetzt geh‘ ich mal mein Tuch auswringen 🙂
Hach, noch nicht ganz…
Kurz zuvor las ich noch von einer Aktion für eine Notfall-Kiste für Kreissäale/Kliniken [2]. Wenn Kinder sehr früh, und wie es heißt „still“ zur Wellt kommen, sie also leider tot geboren werden, dann ist es in vielen Krankenhäusern eine äußerst sterile Athmosphäre. Die armen Würmchen werden fast wie medizinischer Sondermüll behandelt, ein Stück biologischer Rest, respekt- und würdelos und schrecklich für die Eltern. Die Aktion setzt sich dafür ein, dass in Krankenhäusern eine „Notfallkiste“ für diese Fälle bereits steht. Sie enthält unter anderem mini-Kleidung, um die kleinen Körper würdevoll zu bedecken, nicht zuletzt auch, um Läsionen der oft traumatischen Geburt zu bedecken und den Eltern ein würdiges Bild ihres Kindes zu ermöglichen. Die Danksagungen von Eltern, Hebammen und Ärzt_innen sind herzzerreißend.
Besonders tief berührte mich der Brief eines Pathologen, also einer jener Ärzte, der die toten Körper meist als letzter zu sehen bekommt, bevor sie in einen Sarg gelegt und darin für immer verschlossen werden. Er schrieb, dass er schon seit langer Zeit, so gut er es eben mit Hilfe Freiwilliger und Spenden konnte, den kleinen Kindern, weil sie zumeist nackt und fast entmenschlicht bei ihm ankamen, etwas Kleidung und ein kleines Stofftier, einen Teddy oder Ähnliches, mit auf ihren letzten Weg gab. Nie würde dies irgendjemand außer ihm sehen oder bemerken, aber dennoch tat er es – selbstlos, aus Respekt und in bedingungsloser Anerkennung der Würde dieser Kinder – ich heule und schluchze schon wieder, als ich dies schreibe.
Gestern Abend beim Plenum im Zentrum erfuhr ich, dass ein langjähriges Zentrumsmitglied letzte Woche nach einer Leber Transplantation verstorben ist – sein Körper war bereits durch die lange Vorerkrankung zu sehr geschwächt und das neue Organ wurde nicht angenommen. Den Prozess der Abstoßung und den damit begonnenen Weg des Sterbens hat er bewusst über mehrere Tage erlebt. Er hat in diesen letzten Tagen noch ganz bewusst und ausdrücklich Vorkehrungen und Wünsche für seine eigene Beisetzung und Trauerfeier geäußert. Er war vielleicht erst Ende 30!? Was für eine unermessliche menschliche Größe muss man entwickelt haben, um soetwas auszuhalten und auch noch bewusst zu gestalten!? Er wünscht sich für seine Trauerfeier ausdrücklich das Motto „Tanz unter dem Regenbogen!“ und das keine Person in schwarz erscheinen solle! Bei aller Trauer, so sagte er, solle dennoch die Freude am Leben nicht verloren gehen.
Lasst uns alle so respektvoll, wertschätzend und menschlich miteinander sein, wie wir nur irgendwie können… irgendwann können wir es nicht mehr und dann ist es endgültig zu spät.
[1] Der Spiegel, „Wie Kinder mit dem Tod umgehen“
http://www.spiegel.de/panorama/wie-kinder-mit-dem-tod-umgehen-a-1052122.html
[2] Aktion: Kliniken mit einem Notfallkistchen ausstatten, die Klinikaktion der Schmetterlingskinder
http://www.kinderwunschhilfe.de/index.php?id=432
Zitat:
Juni 2009
Ein Pathologe aus Nordrhein-Westfalen“Bisher habe ich immer meine Partnerin darum gebeten, etwas für die ganz kleinen still geborenen Babys zu nähen. Ich konnte sie einfach nicht nackt in die Särge legen, denn ich fand das furchtbar traurig!Auch habe ich versucht, den meisten wenigstens einen kleinen Teddybären oder ein Stofftier mit in den Sarg zu legen. Aber wir schaffen das nicht immer, denn wir haben das immer selbst hergestellt und aus Spenden finanziert. Umso froher bin ich, dass es nun endlich eine Initiative gibt, die sich dieser Problematik annimmt. Außerdem haben die betroffenen Eltern nie davon erfahren, dass ihre Kinder bekleidet den letzten Weg angetreten haben, denn wir haben sie ja erst angezogen, wenn sie hier in die Pathologie kamen und die Eltern sie nicht mehr gesehen haben.”