Irgendwie habe ich den Eindruck, dass, gerade in der FAZ, ein kleiner Feldzug gegen Hafermilch & Co geführt wird. Die FAZ fällt mir ohnehin des öfteren mit Lobby getriebenen „Gastbeiträgen“ auf, vielleicht ist das hier auch soetwas? Gibt es da vielleicht Druck aus der Milchwirtschaft?
Zuersteinmal vorweg, ich bin hier wohl auch etwas befangen, denn wir verwenden seit etwa Anfang des Jahres recht konsequent Hafermilch für den Kaffee – oder nein, Entschuldigung, natürlich nicht Hafermilch, sondern Hafer Drink, Milch darf man es ja nicht mehr nennen, denn es ist ja keine Tiermilch. Was zur H*? Wegen der „Verwechslungsgefahr“, aha. Milch war aber schon immer ein Begriff für Emulsionslösungen! Wir sprechen auch von „milchigen“ Flüssigkeiten, selbst wenn da keine tierische Milch drin ist! Und warum darf Scheuermilch noch immer Scheuermilch heißen? Wäre es nicht sogar noch schlimmer, wenn jemand dadurch Scheuermilch für ein Milcherzeugnis hielte und es trinkt? Nicht auszudenken! Also nein, tut mir leid, alleine hier war schon eine gute Portion Lobbyismus der Milchindustrie am Werk, um Milch Alternativen vorneweg die Bezeichnung wegzunehmen, damit Verbraucher*innen dies schon am Namen nicht für eine Alternative halten könnten – ist keine Milch, ist nur ein „Drink“. Was für ein Unsinn.
Doch zurück zum Thema. Zuerst probierten wir etwas herum, mit Soja, Mandel und anderen, landeten dann aber bei „Barista Hafer Drink“ von Lidl. Mandel und andere Nuss basierten „Drinks“ sind zwar auch teils ganz gut, gerade ihr etwas eben nussiger Beigeschmack, doch nehmen wir mal an, das würde in größerem Stil verbraucht, dann bekommen wir ein kleines Problem, denn soviele Nüsse und gerade Mandeln gibt es in Deutschland nicht. Also müssten diese wieder importiert werden etc. Mandeln wachsen zudem eher dort wo es wärmer ist, doch dort gibt es zunehmend Probleme mit Wasserknappheit und dann sollte man das Wasser vielleicht lieber in essentielle Nahrungsmittel stecken, als in Luxus Mandeln, denn so arg viele Mandeln produziert so ein Mandelbaum im Vergleich zu der genutzten Fläche und anderer Ressourcen dann auch nicht.
Soja scheidet für mich deshalb aus, weil es in der Regel bei den Produkten kaum nachvollziehbar ist, woher der Soja kommt. Da Soja auch in irrwitzigen Mengen hergestellt wird und auch zudem meist nicht in Deutschland, ist es sehr wahrscheinlich, dass der verwendete Soja Industrie Soja, womöglich genetisch verändert und mit so tollen Hilfsmitteln wie Round-Up / Glyphosat hergestellt wurde. Einer der größten Soja Produzenten sind die USA und dort hat Monsanto, die jetzt zu Bayer gehören, mit wirklich widerlichen Methoden die Landwirte in eine Abhängigkeit und Monokultur von Monsanto Gen modifiziertem Soja und Mais getrieben, das es einem wirklich übel wird.
Also blieb für uns Hafer. Hafer gibt es in Deutschland in großen Mengen und davon etwas für Hafermilch abzuzweigen, stellt für mich kein Problem dar – ob ich daraus nun ein Haferbrötchen oder einen Liter Milch mache, spielt keine große Rolle. Auch Hafermilch alleine schmeckt im Vergleich zu tierischer Milch noch etwas wässrig, gerade im Kaffee, was bei uns der größte Anwendungsfall von Milch ist, war das noch nicht so super lecker. Die Lösung brachte dann eben besagte Barista Variante. Dort ist noch ein Schluck Rapsöl enthalten und schon hat man wieder den vollmundigen Geschmack von einer guten Tasse Kaffee mit Milch. Auch Raps ist in Deutschland gut anbaubar und sogar sinnvoll, da Raps im Fruchtwechsel den Boden natürlich mit Stickstoff versorgt. Ansonsten brauchen wir praktisch keine Milch, doch dieser Milch-im-Kaffee-Konsum ist erstaunlicherweise nicht ganz unerheblich, da kommen schon ein bis zwei Liter in der Woche zusammen, alleine bei uns zu Hause, noch einmal deutlich mehr im Büro.
Warum das ganze Theater?
Nun, das hat für mich vielerlei Gründe. Da ist zum einen die industrielle Landwirtschaft und vor allem die tierische Landwirtschaft. Wenn ich sehe, erlebe und auch immer wieder lese, unter welchem Preisdruck die Milchbauern durch die handvoll Großmolkereien stehen, dann ist es völlig klar, dass dort nicht mehr sehr sorgsam mit Tierwohl und Umwelt umgegangen werden kann. Das Schlimme hierbei ist, als Verbraucherin habe ich keine Chance, diese Produktionsketten zu umgehen. Egal was ich mache, ich kaufe von diesen Großmolkereien, die den Markt praktisch Oligopol artig unter sich aufgeteilt haben und die Preise diktieren – bzw. diese bekommen die auch wieder von dem Handelskettenoligopol diktiert, vier große Ketten, Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland, teilen sich etwa 85% des Marktes unter sich auf. Eine Zeit lang haben wir versucht Milch und Milchprodukte direkt von Landwirten aus der Region zu bekommen, doch das wird diesen aus angeblichen „Hygienegründen“ auch immer schwerer gemacht. Den Aufwand, den ein*e Landwirt*in für den Direktverkauf inzwischen treiben müsste, ist einfach wirtschaftlich nicht mehr darstellbar. Und genauso kam es dann auch, immer weniger Angebote und schlussendlich mussten wir wieder Industriemilch aus dem Laden nehmen, weil die Landwirt*innen aufgegeben hatten. Ich kann also gar nicht, selbst wenn ich wollte, durch einen höheren Preis die Landwirt*innen unterstützen, die eine nachhaltige Landwirtschaft betreiben wollen. Mist.
Doch auch wenn man es nachhaltig betreibt, ist und bleibt Ernährung aus tierischen Produkten eine ökologisch extrem schlechte Idee. Aus den 50-100 Gramm Hafer für einen Liter Hafermilch macht eine Kuh eben keinen Liter Kuhmilch. Kühe sind keine besonders guten Nahrungsverwerter, man muss sehr viel mehr reinstecken, als man heraus bekommt. Jetzt könnten Kühe auch Dinge essen und verdauen, die für uns eher unverdaulich sind, wie Gras oder Heu. Doch dann kommt noch weniger Verwertbares dabei heraus, weshalb industriell gehaltene Kühe eben nicht Heu und Gras bekommen oder nur zu einem kleinen Teil, sondern überwiegend Mastfutter aus Getreide – Hafer, Weizen und jede Menge Soja, wegen des Proteingehalts. Alles Nahrungsmittel, die wir auch direkt verzehren könnten, ohne den Umweg über Rinder, die einen Großteil davon schlicht für sich selbst oder gar nicht verwerten. Eine „Hocheffizienzkuh“ produziert 1,2 mal soviel Milch, wie sie Futter aufnimmt, also 1kg Futter ergeben 1,2 kg Milch – klingt viel, ist es aber nicht, denn besagte Hafermilch ist dagegen 10-fach effizienter, dort ergeben weniger als 100 Gramm Hafer über 1 Liter Hafermilch! Oder anders gesagt, wenn wir keine Milch mehr verbrauchen würden, kämen wir mit einem Zehntel der landwirtschaftlichen Produktion von Futtermitteln aus. Ein Zehntel!
Was zum nächsten Grund führt. Die industrielle Landwirtschaft, egal ob Tierhaltung oder Pflanzenanbau, hat wegen des großen Bedarfs Auswüchse angenommen, die ganz konkret unsere Ökosysteme nicht nur gefährden, sondern aktiv zerstören. Es ist nicht mehr zu leugnen und da gibt es auch nichts mehr klein zu reden, es ist einfach so. Unser verschwenderischer Umgang mit Nahrungsmitteln sorgt dafür, dass unsere landwirtschaftlichen Flächen überstrapaziert werden. Durch den Einsatz von Agrarchemie wird versucht den Ertrag zu optimieren, was zu weiterer Zerstörung der Flächen und Ökosystemen führt. Seit den 2000 Jahren ist ein nachweislich dramatischer Artenschwund zu beobachten, der inzwischen höchst Besorgnis erregende Ausmaße angenommen hat. Es hilft alles nichts, wir müssen diese Produktionskapazitäten drastisch reduzieren und die Produktionsmethoden auf ökologisch nachhaltige Methoden umstellen – kein Kunstdünger, keine Pestizide, natürliche Düngung durch Fruchtwechsel und natürliche Düngestoffe (und kein Kunstdünger aus Erdgas!), Schädlingsbekämpfung durch natürliche Fressfeinde etc. Das alles funktioniert, doch nur, wenn wir unseren enormen Nahrungsmittelbedarf drastisch herunterfahren. Und eine der effizientesten und damit auch effektivsten Methoden dazu ist, den Verbrauch von tierischen Lebensmitteln drastisch einzuschränken.
Doch damit ist es ja noch nicht zu Ende. Gerade aktuell haben wir mal wieder einen rekordverdächtigen Sommer mit Rekord niedrigen Niederschlägen. Nicht nur bei uns, sondern in praktisch allen Regionen der Welt unserer Breiten. Und das ist nicht das erste Jahr so, sondern seit vielen Jahren. Wir trocknen aus, der Grundwasserpiegel fällt, die Trinkwasserreservoirs kommen jedes Jahr an ihre Grenzen, Einschränkungen der Trinkwassernutzung sind die Folge. Die USA sind zwar weit weg, aber glaube mal niemand, dass das ein nur dort vorhandenes regionales Phänomen wäre, ist es nicht, aber der Bildvergleich von Aufnahmen der NASA macht die Situation dramatisch deutlich:

(c) NASA, August 2022 https://eoimages.gsfc.nasa.gov/images/imagerecords/148000/148758/lakemeadzm_oli_2021221.jpg
Das sind zwei Aufnahmen des Lake Mead, das größte Süßwasserreservoir im Süd Westen der USA, links aus dem Jahr 2000, halbwegs normaler Füllstand und rechts gleicher Monat 2021. Große Teile sind schlicht ausgetrocknet. Dieses Jahr (2022) ist es noch dramatischer. In Italien und Frankreich erreichen Flüsse gar nicht mehr ihr Ziel, sie trocknen vorher schon aus. Die Binnenschifffahrt in Deutschland fährt inzwischen jeden Sommer nur mit Teilladungen, weil die Pegelstände so niedrig sind, dass sie bei voller Beladung auf Grund liefen. Was hat das mit Hafermilch zu tun? Nun, ein großer Teil des Frischwasserbedarfs geht in die Landwirtschaft, zur Bewässerung der Anbauflächen. Reduzieren wir den Bedarf an Anbauflächen, reduzieren wir auch den Bedarf an Frischwasser. Recht einfach. Und die Produktion von tierischen Nahrungsmitteln benötigt unter dem Strich ein Vielfaches an Wasser im Vergleich zur Produktion von pflanzlichen Nahrungsmitteln.
Wer das noch einmal wissenschaftlich erklärt und mit den neuesten Fakten und Studien belegt haben möchte, dem empfehle ich einen ziemlich erschütternden Vortrag von Mark Benecke: „Time is up!“. Nichts für schwache Nerven. Ganz grob zusammengefasst: Die wirkliche Klimakatastrophe ist praktisch nicht mehr zu verhindern, weil die größten Emittenten von Klima wirksamen Gasen unwiderruflich gestartet wurden, das Ziel von 1,5 Grad und auch 2,5 Grad ist nicht mehr erreichbar, egal was Politiker*innen versprechen, das bei Weitem allergrößte Problem für unser Überleben wird sehr bald die Nahrungsmittelproduktion sein, denn wir machen a) die Böden kaputt und b) geht uns das Wasser aus.
Die fetten Jahre sind vorbei, wir müssen uns alle sehr deutlich und sehr schnell zurücknehmen. Täglich Fleisch und andere tierische Lebensmittel auf dem Tisch geht nicht mehr. Es ist unverantwortlich, wir zerstören damit unsere Zukunft auf diesem Planeten. Wenn Hafermilch einen Beitrag dazu leisten kann, dann mache ich das gerne. Was jetzt nicht heißt, dass ich nicht auch mal eine Scheibe Käse oder Schinken essen werde. Aber die Kuhmilch im Kaffee gegen Hafermilch zu tauschen bedeutet für mich keinerlei Verlust an Lebensqualität, der Kaffee schmeckt fast genauso, also warum nicht? Für fleischiges zum Abendessen gibt es inzwischen ein reichhaltiges Angebot an wirklich guten Alternativen, „The vegetarian butcher“ sei hier nur exemplarisch als Marke benannt, das Zeug von denen ist einfach durchweg super (nein, ich habe mit denen nichts zu tun). Es geht und auch ohne wirklich essentielle Einschränkungen. Wenn wir nur wollen. Und wir sollten wollen, wenn die Menschheit auf diesem Planeten auch noch in ein paar Jahrzehnten eine Chance haben soll.
Diese „paar Jahrzehnte“ werden aber leider auch rasend schnell weniger, denn es stellt sich gerade in den letzten 10 Jahren heraus, dass die meisten Klimamodelle noch viel zu optimistisch waren. Alle vorhergesagten Ereignisse treten ein, nur eben viele Jahre vorher als prognostiziert. Auch meine Generation, also die der 1970er, wird noch sehr dramatische Entwicklungen erleben. Benecke zeigt eine Prognose, dass wir hier in Mitteleuropa um 2100 herum vermutlich nur noch zwei Monate Winter erleben werden, Dezember und Januar. Es wird auch bald eine Migration von den Küstenregionen Europas ins innere des Kontinents geben, weil der Meeresspiegelanstieg die Küsten viele Kilometer weit ins Landesinnere unbewohnbar machen wird. Verhindern können wir das alles nicht mehr, aber wir können die Entwicklung noch immer etwas verlangsamen und die schlimmsten Folgen abmildern. Wir können das, wir Verbraucher*innen, indem wir aktiv unseren Nahrungsmittelkonsum verändern: Bewusst, weniger, nur das was wir auch wirklich brauchen und vor allem so wenig tierische Produkte wie möglich – am besten gar keine.