Warum freie Software, Open Source und liberale Lizenzen so wichtig sind

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Zunächst zum Thema der Qualität von OpenSource bzw. freier Software. Es ist mitnichten so, dass kommerzielle Softwareanbieter per-se die bessere Software machen. Sie legen auf andere Dinge Wert, als freie Software, das ist richtig, doch das macht sie zunächst nicht besser. Auch ist eine weite Verbreitung nicht sofort ein Qualitätsmerkmal. Vor allem aber ist der Preis kein Merkmal für Qualität. Auch sagt ein Nutzungspreis einer Software nichts über die Befähigung der Nutzer_innen aus. Schlüsse von einem auf das andere halte ich für gefährlich.

Es gibt viele Beispiele für OpenSource Software, die den meisten kommerziellen Produkten überlegen ist. Die heute weltweit am meisten verbreitete Klasse von Betriebssystem, sind Unix basierte Systeme. Das meist verbreitete ist, na, wer weiß es? Linux! Denn der Linux
Betriebssystem Kern läuft nicht nur auf PCs und Notebooks, sondern auf der überwiegenden Zahl von Internet Servern, Clustern und Großrechenanlagen. Im Mobilbereich ist Linux durch Android das am meisten eingesetzte Mobilbetriebssystem, weltweit. Das andere weit verbreitete Unix ist iOS, sowohl auf iPhones als auch Apple Notebooks. Beides basiert auf dem freien BSD System.

Die Internet Server hatte ich schon angesprochen, das Gros läuft mit Linux und darauf aufsetzend Dutzende und Hunderte von freien Software-Paketen, die diese Server mit der Funktion ausstatten – Apache Webserver, MySQL Datenbank, PHP, PHPBB Forum, WordPress, Exim und Dovecot eMail, LimeSurvey etc. etc. Das alles ist OpenSource Software und in vielen Fällen kommerziellen Produkten in Stabilität und Funktionsumfang weit überlegen. Diese Software wird professionell eingesetzt und nicht nur von Hobby Nutzern. Es basiert eine Milliarden Euro schwere ganze Industrie darauf.

Also, nur weil es OpenSource ist, bedeutet das nicht, dass es unprofessionell oder nur im Hobby Bereich anzusiedeln wäre.

Ich sehe auch die Verknüpfung des Beherrschens von kommerziellen Werkzeugen mit einer Erwartungshaltung an ein professionelles Arbeiten kritisch. Nur weil jemand Photoshop  kennt bedeutet das nicht, dass diese Person ein_e gute_r Grafiker_in ist, gleiches gilt natürlich umgekehrt auch nicht. Was zählen sollte ist doch Kreativität und ein gutes
Verständnis der Ziele der Arbeit. Software ist dann Werkzeug zur Umsetzung, was aber im Prinzip auch mit Bleistift und Papier zu machen wäre.

Ich reagiere auf diese Art der Argumentation für kommerzielle Software immer etwas „allergisch“, tut mir leid. Das liegt daran, weil mir diese „Argumente“ seit über 25 Jahren vorgehalten werden.

Ghandi hat einmal gesagt:

Zuerst ignorieren sie dich,
dann lachen sie über dich,
dann bekämpfen sie dich
und dann gewinnst du.

Als ich damals, etwa 1992, mit Linux anfing, passierte genau das. Erst wurde ich damit ignoriert und dann belächelt. Dann fing Microsoft an, uns aktiv in den Schmutz zu ziehen, sie machten aktiv Marketing gegen freie Software, gegen Linux und das ganze Linux OpenSource Ökosystem. Heute haben wir in vielen Bereichen gewonnen. Microsoft macht mit seinen Internet Server Produkten keinen Stich mehr, in Clustern haben sie verloren und auch ihr
Versuch mit Windows auf Telefonen ist selbst mit der feindlichen Übernahme von Nokia gescheitert. Ich bin selbst Mitentwicklerin in vielen OpenSource Projekten und fühle mich bei solchen Beschreibungen als „etwas“ unter Wert betrachtet – vor allem weil ich auch kommerzielle Entwicklungen aus der Innenansicht kenne und daher weiß, wie schlecht
die oft genug sind.

Neben dem technischen Aspekt ist mir persönlich aber noch etwas anderes sehr wichtig und liegt mir sehr am Herzen. Es geht um moralische und ethische Gedanken, die man bei dieser Diskussion nicht außer Acht lassen darf.

Ich denke man muss sich vergegenwärtigen, dass Software mehr ist, als, sagen wir, ein Hammer. Software ist Computer implementiertes Wissen. Wissen ist Macht und wird dieser Tage immer mehr zu einem Machtfaktor. Mit der Monopolisierung von Wissen kann immenser Schaden angerichtet werden. Vor einigen Jahren hat Monsanto versucht, das Genom einer bestimmten Reissorte zu patentieren. Das ist nichts anderes als Wissen,
denn das kann man auf Papier aufschreiben. Diese Reissorte war aber zufälligerweise genau die Reissorte, die in Indien präferiert von kleinen und mittelgroßen Bauern angebaut wird – leicht zu ziehen und robust. Im gleichen Zeitraum stand Indien mit den USA in Verhandlungen zu einem Handelsabkommen – die Parallelen zu TTIP liegen auf der Hand.

Wäre das Patent und das Abkommen durchgekommen, dann hätten Millionen von Bauern in Indien diesen Reis nicht mehr anbauen dürfen. Sie hätten für den Reis, den sie dort seit Jahrhunderten anbauen, Lizenzgebühren an den US Amerikanischen Saatgutproduzenten Monsanto zahlen müssen. Betrachtet man die Praktiken von Monsanto mit genetisch modifiziertem Saatgut in den USA, so wäre zu befürchten gewesen, dass Monsanto auch in
Indien versucht hätte, ein Saatgutmonopol durchzusetzen. Dies alles nur wegen des Wissens um eine Reissorte. Es war Aktivistinnen in Indien zu verdanken, die massiv dagegen auf die Straße gingen, dass es nicht dazu kam. Es war das erste mal in der indischen Geschichte, dass Frauen sich massiv politisch zur Wehr setzten. Der Patentantrag wurde zurückgezogen, nachdem die indische Regierung dem Druck der Frauen nachgab und den USA signalisierte, dass das Abkommen nicht zustande käme, solange diese Gefahr im Raum war.

Das Problem mit dem Reis Saatgut macht recht anschaulich, was passieren kann, wenn Wissensmonopole entstehen. Mit Computern und deren Software haben wir ein ganz ähnliches Problem. Vor gerade vielleicht einmal 50 Jahren begannen Computer, also programmierbare Maschinen, eine breitere Anwendung zu finden. Computerprogramme wurden zunächst nicht als Wirtschaftsgut betrachtet. Die physische Maschine, der Computer, war das Handelsgut, die Software gab es kostenlos obendrauf und zudem auch noch im Quelltext – so wie zu dieser Zeit auch in den meisten teuren Elektrogeräten der Schaltplan (!) im Inneren des Gehäuses mitgeliefert wurde! (Glaubt Ihr nicht? Zerlegt mal einen alten Fernseher, da ist an einer der Wände des Holzgehäuses eine Tasche mit dem auf Papier gedruckten Schaltplan für den Service).

Die Computer wurden immer komplexer und mit ihnen die Software. Bald fanden Firmen heraus, dass auch die Software einen Wert besitzt, den man verkaufen kann und hörten auf, Software kostenlos mitzuliefern. Wenn man sie dann kaufte, bekam man auch nur noch das ausführbare Programm und nicht mehr den Quelltext. Hatte die Software Fehler, so konnte diese nur vom Hersteller behoben werden. Zusätzliche Funktionen konnte auch nur der Hersteller und nicht mehr der_die Benutzer_in einbauen. Das Wissen um die Funktionsweise der Software ging immer weiter verloren und zentralisierte sich bei den Software Herstellern. Software wurde zur Black-Box, Eingabe -> Verarbeitung -> Ausgabe, die Verarbeitung ist von außen nicht mehr nachvollziehbar.

Seit dieser Zeit versuchen Software-Hersteller immer wieder, ähnlich wie Monsanto in Indien, sogenanntes vendor-lock-in zu erzeugen, damit Benutzer garantiert nicht mehr von diesem einen Hersteller los kommen, damit sie abhängig werden und immer wieder, sogar für Fehlerbereinigungen oder marginale Verbesserungen, viel Geld bezahlen müssen. Aus Sicht einer kapitalistischen Marktwirtschaft ist das natürlich eine gute Strategie, doch aus Sicht einer humanistischen Gesellschaft eine Katastrophe. Wir machen uns bewusst abhängig von Technologie und Technologieunternehmen, die Macht über uns ausüben, nur weil sie Wissen monopolisieren.

Die Vorkommnisse im Zusammenhang mit den diversen Spionage Skandalen der letzten Monate und Jahre (es begann ja schon 2012 mit dem BND Trojaner Skandal) zeigen deutlich, in welch fatale Abhängigkeit wir uns bereits begeben haben. Nur noch sehr wenige Menschen sind in der Lage zu überblicken, wohin welche Daten wandern und vertrauenswürdige Alternativen werden täglich weniger. Die Konzerne legen der Gesellschaft langsam eine wirtschaftliche Schlinge um, sie übernehmen wesentliche Macht über die Gesellschaft, indem sie kontrollieren, wer, wann welchen Zugang zu Daten bekommt und wer nicht. Alles dies wird gewährleistet über das Wissensmonopol.

Den Zugang zum Nutzen dieses Wissens kann man sich erkaufen, indem man proprietäre Software kauft. Menschen, die sich dies nicht leisten können, werden bereits vom Zugang zur bloßen Nutzung dieses Wissens ausgeschlossen – von dem Wissen selbst gar nicht erst zu reden. Es gibt Milliarden von Menschen auf der Welt, die sich keinen PC und schon gar nicht teure Programme dafür leisten können. Ihnen wird damit systematisch der Zugang zu allem weiteren Wissen, dass dadurch erst erschlossen würde, verweigert. Jemandem, der_die kein Geld für eine MS-Office Lizenz hat zu sagen, Du kannst hier nur mitarbeiten, wenn Du auch MS-Office hast, ist eine Exclusion ganzer Bevölkerungen. Nur weil diese Software für uns gefühlt bei jedem PC dabei ist, bedeutet das nicht, dass sie überall auf der Welt zu gleichen Konditionen verfügbar ist. Diese Annahme sorgt bereits in Europa, aber vor allem in den Schwellenländern, zu einer schleichenden breiten Kriminalisierung der Bevölkerung. Überall werden nicht lizensierte Kopien angefertigt, mit dem Wissen, dass dies eigentlich verboten ist, aber gleichzeitig mit der Gewissheit, dass sie sonst niemals Zugang zu diesem Computer implementierten Wissen bekommen könnten.

Gerade die Software Konzerne sind hier sehr geschickt. Ihr wirtschaftlicher Schaden bei unlizensierten Kopien (sog. „Raubkopien“) ist gering. Sie lassen es in Grenzen zu, um eine größere Marktdurchdringung zu erreichen. Dann, wenn es quasi Standard geworden ist, dann ziehen sie die Schlinge zu und kriminalisieren die Kopien, fordern Schadenersatz und erzwingen den Lizenzkauf. Microsoft hat bspw. eigenen Abteilungen in fast allen Ländern, die nichts anderes machen, die abwarten, bis größere Installationen entstehen, um dann zuzuschlagen und Nachforderungen zu stellen und die Opfer auf Jahre an MS zu binden – „Schließen sie jetzt einen 10 Jahresvertrag, dann verklagen wir sie nicht.“.

Seit etwa 18 Jahren beobachte ich mit Sorge Software Patente. Hier geht es um Patente auf Ideen, auf Wissen, mehr nicht. Nach Deutschem Recht ist dies glücklicherweise nicht möglich, in der EU wird seit fast 20 Jahren darum gerungen, vor allem auf Druck der Amerikaner. Dort ist das seit Jahren möglich, mit irrwitzigen Folgen. Zur Demonstration dieses Blödsinns hat ein Patentanwalt einmal das Rad – ja, DAS Rad – patentiert und es wurde ihm in der Tat zuerkannt!

Etwa 1998/1999 war die Diskussion auch in der EU groß, es gab einen Entwurf, Software Patente zuzulassen und dies über die EU in allen Mitgliedsstaaten durchzudrücken. Große Treiber waren US Amerikanische Software Konzerne, aber vor allem Patentverwerter. Das sind Firmen, die nichts anderes zum Geschäftsmodell gemacht haben, als Patente aufzukaufen und sie mit größtmöglicher Brutalität zu Geld zu machen, indem sie allen und jeden möglichen Verstoß vor Gericht verfolgen. Der Wert einer Firma in den USA wird nicht daran gemessen, wieviel Umsatz sie macht, sondern wieviele Patente sie besitzt. Und dies nicht um vielleicht zu bewerten, wie innovativ sie ist, sondern als „Munition im Keller“, wenn es zum Gerichtsverfahren kommt, wenn sie wegen Patentverletzungen verklagt werden sollte. Denn dann wird meist ein Cross-Licensing Deal ausgehandelt, irgendeinen Verstoß gegen die so allgemein formulierten Patente findet man beim Kläger immer und dann macht man eben einen Deal.

Etwa 2004/2005 entschied sich die EU Kommission dann zunächst, nicht zuletzt auf starken Druck von Lobby Gruppen der freien Software (da war auch ich dabei), zunächst das Patentrecht nicht zu verändern, die Software Patente waren vorerst vom Tisch. Unter der Hand war aber bekannt, dass die Patentverwerter immernoch darauf warten, dass dies noch passiert, die haben Zeit. Nur weil jetzt keine Klagen in der EU oder Deutschland laufen, bedeutet das nicht, dass wir sicher wären. Jetzt zu klagen wäre taktisch unklug, denn die Aussichten sind schlecht und sie müssten in jedem Land der EU einzeln klagen. Warten sie aber auf eine EU einheitliche Regelung, dann könnten sie mit einer Klage den ganzen Kontinent in den Griff bekommen. Und jetzt ratet mal, was TTIP auch „harmonisieren“ sollte? Na? Das Patentwesen! Gratulation.

Was ist also freie Software und Open Source? Was sind freie Lizenzen? So wie sie Lawrence Lessig anmahnt und durch Creative Commons aus dem reinen Computer Bereich ausweitete auf alle kreativ, schöpferische Arbeit.

Freie Software, Open Source und Lizenzen dafür sind die humanistischen und emanzipatorischen Antworten auf die immer stärker wachsende Wissensgesellschaft. Bald wird es nicht mehr darum gehen, wer welche und wieviele Sachwerte (Dinge, Produktionsmittel, Ressourcen) besitzt, sondern vielmehr darum, wer welches Wissen kontrolliert, den Zugang dazu und die Nutzung davon. Freier Zugang zu Computer implementiertem Wissen wirkt antidiskriminierend und inkludierend. Es ist sozial, demokratisch und emazipatorisch.

Deshalb ist freie Software mehr, als nur kostenlose Programme.