Seit einiger Zeit versuche ich mich ehrenamtlich zu engagieren, um anderen Trans*Menschen zu unterstützen und mit zu helfen, sich damit leichter zu tun, ihren eigenen Weg zu beginnen. Es muss ihr eigener Weg sein, wie auch immer dieser aussehen wird, das ist nicht meine Sache. Jede_r muss für sich selbst herausfinden, was für sie/ihn gut und richtig ist, was stimmig ist und vor allem, was unabdingbar ist. Ich kann nur unterstützen, helfen diese Punkte zu finden und bei ihrer Realisierung zu unterstützen. Dies ist Sinn und Zweck der Beratung, mit Erfahrung und Sachwissen diesen Weg zu begleiten und das ist jene Beratung, die ich in der Selbsthilfegruppe in Siegen und in der Beratungsstelle der dgti mache.
Auf diese Weise hatte ich in den letzten Wochen und Monaten mit einer ganzen Reihe von sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten im Rahmen dieser Beratungstätigkeit zu tun. Ziemlich quer Beet, durch alle gesellschaftlichen Schichten, alle Bildungsniveaus und Gesundheitsgrade, sowohl physisch als auch psychisch. Ganz zwangsläufig erfährt man viel von seinen Klienten, viel Privates und auch viel von ihrer allgemeinen Lebenssituation, der vergangenen, der aktuellen und der Perspektive.
Meine bisherige Überzeugung war es eigentlich, dass man das meiste davon selbst beeinflussen könne. Es wäre eine Frage der Authentizität und des richtigen Auftretens und von Zeit für Erklärungen und Empathie auf allen Seiten, dann würde es schon alles gut gehen, dann würde allen eine Transition gelingen, ohne größere Tiefschläge.
Doch je mehr ich mit anderen Betroffenen zu tun habe und je mehr ich über meine stetig wachsende Vernetzung erfahre, desto bestürzter und enttäuschter werde ich. Ich habe praktisch keinen einzigen positiven Verlauf in der Beratung. Liegt das nur daran, dass sich Menschen nur an eine Beratungsstelle wenden, wenn sie Probleme bekommen? Vielleicht. Doch ich lerne auch immer wieder Menschen abseits der Beratung kennen und auch bei ihnen ist es eigentlich fast überall gleich. Praktisch alle erleben zu Anfang, während oder nach ihrer Transition massive Tiefschläge, die sie den Rest ihres Lebens begleiten. Vor allem sind es Verluste, die Familien wendet sich ab, der Partner oder die Partnerin kommt damit nicht zurecht, alte und tiefe Freundschaften gehen verloren oder der Arbeitsplatz. Die Arbeitslosenrate bei Trans*-Menschen liegt international ein Vielfaches über dem Durchschnitt. Ein Zufall? Nein.
Entsprechend schlecht ist es um die seelische Gesundheit der meisten Trans*-Personen gestellt. Depressive Phasen bishin zu klinische Depressionen sind die Regel, nicht die Ausnahme. Kein Wunder, dass die Selbstmordrate bei Trans*-Menschen um etwa das Zehnfache höher als im Durchschnitt der restlichen Bevölkerung liegt.
Sind alle selbst daran schuld? Ganz klares Nein.
Schlussendlich ist es Ablehnung, auf die ein oder andere Art, die uns Trans*-Menschen nach wie vor entgegen schlägt. Sei es aktive oder passive Diskriminierung oder das blanke Unverständnis unserer Umwelt. Da hilft keine Geduld, kein Verständnis und keine Erklärungen mit Engelszungen. Es sind offenbar tief verwurzelte Urängste und Bedenken, die durch uns selbst nicht überwunden werden können. Ich mache dem Umfeld dafür nichteinmal einen Vorwurf, denn bewusst passiert das ja zumeist gar nicht. Die meisten sind völlig überfordert und hilflos, wenn jemand in ihrem Umfeld auf einmal das Geschlecht wechselt oder fast schlimmer noch, sich uneindeutig gibt. Sie verstehen es einfach nicht und schon gar nicht, dass es für die Betroffenen selbst ein unabdingbares Urbedürfnis ist. Wir können einfach nicht anders. Es ist kein böser Wille. Doch genau wie wir nicht anders können und uns unserer Identität entsprechend verhalten müssen, so müssen wir auch den anderen ein ähnliches Recht zugestehen, dies nicht mitgehen zu können. Irgendwie verstehe ich das, doch irgendwie möchte ich auch das es aufhört! Denn dies führt genau zu diesen herben Tiefschlägen, die so viele so hart ereilen.
Dies verunsichert mich gerade massiv in meiner Beratung. Kann ich guten Gewissens Menschen immernoch dazu raten, ihre Identität zu leben? Sich nicht durch gefühlte Zwänge einengen zu lassen, sondern auf ihre innere Stimme zu hören, ihrem Gefühl zu vertrauen? Denn eigentlich müsste ich ihnen sagen, behalte es so lange es nur irgendwie geht für Dich! Denn wenn Du es raus lässt, dann bürdest Du Dir etwas auf, an dem Du vielleicht zugrunde gehen wirst oder zumindest mit größter Wahrscheinlichkeit darunter leiden wirst. Ist es das wirklich wert?
Kann und sollte man dies wirklich jemandem so sagen?
Da kommen Menschen zur Beratung, die bereits ein Päckchen mit sich tragen, denn sonst würden sie nicht eine Beratung in Anspruch nehmen wollen. Genau in dieser Situation müsste ich sie dann eigentlich eindringlich davor warnen! Doch das wäre ganz sicher nicht hilfreich und verunsichert noch mehr. Aber verschweigen kann ich es auch nicht. Nicht mehr, nachdem ich alle diese tragischen Fälle kenne.
Dies verursacht gerade eine nicht ganz unbedeutsame Krise für meine Beratungsarbeit.
Das letzte Wochenende setzte dem noch eine Krone auf, als ich von einer sehr guten Freundin erfuhr, dass sich ihre Partnerin nach über 26 Jahren !!! von ihr trennt. Wieder ein Beispiel für einen extrem herben Schlag. Eine Beziehung und gewachsene Partnerschaft von einem viertel Jahrhundert streift man nicht einfach ab wie einen Mantel. Diese Nachricht alleine hat mich schon reichlich mitgenommen, denn eigentlich hatte ich den Eindruck, beide kämen damit gut zurecht. Ihre Partnerin wusste im Prinzip bereits seit Jahren, dass nun soetwas kommen würde. Es kam also auch für sie nicht aus heiterem Himmel. Doch jetzt dann auf einmal – peng.
Leider ist sie damit nicht die erste, die auch ich begleitet habe. Von ihren frühen Anfängen, mit ersten Selbstzweifeln, der großen Verwirrung bishin zum Platzen des Knotens und der großen Befreiung. Eigentlich eine wunderbare Zeit und Wendung! Endlich das wahre Ich leben und ausdrücken können, endlich fühlt sich das Leben richtig und stimmig an! Endlich frei.
Doch dieses persönlich richtige Leben wird erkauft mit einer ganzen Latte von Widrigkeiten, bei denen einen mehr, bei anderen weniger. Ich hatte noch lange die naive Vorstellung, dass wir selbst zum größten Teil bestimmen würden, wie diese Prozess ablaufen und das es nur wenige wirklich unvermeidliche Schläge geben würde. Meine stetig wachsende Erfahrung straft mich Lügen. So schrecklich ich es finde, dies sagen zu müssen, aber überlegt Euch das gut! Und besser vier, fünf oder ein Dutzend mal! Alle Statistiken sagen unisono das gleiche: Auch wenn sich die Lebenssituation bzgl. der eigenen Identität verbessert, so verschlechtert sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens eine Sache im Umfeld dramatisch!
Ich möchte nicht übermäßig schwarz malen. Aber ich denke schon, dass ein guter Rat sein muss: „Rechne mit dem Schlimmsten und bereite Dich darauf vor!“. Mit etwas Glück, brauchst Du nichts davon und alles läuft glatt. Doch meist tut es das nicht und dann ist es wichtig gerüstet zu sein, also ein Sicherungsnetz zu haben, das einen auffängt. Ein paar, wenn auch wenige, gute Freunde, die egal was kommt, zu einem stehen, gehören ganz sicher dazu. Es werden Tage kommen, an denen man sie braucht. Wirtschaftliche Sicherheit ist wichtig. Auch wenn in Deutschland die Krankenkassen eine Menge übernehmen, sie übernehmen nicht alles. Hinzu kommen Ausfallzeiten, die nicht mehr mit Urlaub gedeckt werden können und vielleicht auch längere Krankheitszeiten. Eine mittlere oder sogar längere Zeit der Arbeitslosigkeit ist nicht unwahrscheinlich. Wer nicht alles dabei verlieren will, sollte vorsorgen. Und bitte bitte bitte, redet vorher lange und intensiv mit Eurem Partner / Eurer Partnerin darüber. Viele Partner_innen neigen zur Verdrängung – das sei nur eine Phase, das würde schon weggehen. Sie wachen dann erst viel zu spät aus ihrem Traum auf. Dann wird es schnell hässlich, laut und eine Trennung sehr unschön – für beide Seiten. Klärt das vorher! Mit einem klaren Ja oder Nein, damit beide Seiten wissen, womit sie rechnen müssen.
Meine Konsequenz daraus ist recht klar. Ich werde viel stärker als zuvor in der Beratung auch auf die Risiken und große Wahrscheinlichkeit zum Eintritt mindestens einer Krise hinweisen. Alles andere wäre eine schlechte Beratung mit rosa Brille – und ich mag doch gar kein Pink 🙂 Wer mit dem Schlimmsten rechnet, für den ist jedes kleine bisschen Gutes eine positive Überraschung.
Für mich führt das aber auch im Weiteren dazu, dass ich mich neben der Beratung für Betroffene noch stärker dafür einsetzen möchte und werde, dass Vorurteile abgebaut und mehr Wissen über uns in die Breite der Gesellschaft getragen wird. Vielleicht ist es in zwei oder drei Generationen völlig normal, dass sich Menschen ihr Geschlecht selbst frei wählen und dies keinerlei besonderer Verfahren bedarf. Das wäre dann vielleicht auch eine Welt, in der wir keine Tiefschläge mehr dafür einstecken müssen, einfach nur um wir selbst zu sein.