Ich bin davon überzeugt, dass eines der größten Probleme für trans* Menschen nach wie vor die weitgehende Unwissenheit über Trans* in der Bevölkerung ist. Dies ist ein Problem für beide Seiten, für cis und für trans* Menschen gleichermaßen. Fuer cis Menschen ist es nach wie vor schwer vorstellbar, was einen Menschen dazu treiben kann, das bei Geburt zugewiesene Geschlecht anzuzweifeln und ggf. teils drastische Veränderungen machen zu müssen. Für trans* Menschen wiederum sorgt die Unwissenheit und das Fehlen von Vorbildern und Role Models für große Verunsicherung. Ist es falsch, was ich da empfinde? Darf ich das? Darf ich dies für mich in Anspruch nehmen? Und wenn ja, was mache ich nur daraus?
Durch mehr Öffentlichkeit und mehr Sichtbarkeit kann ein Wandel in der Wahrnehmung stattfinden. Vom „Sonderbaren“ zum Normalen und zu mehr Akzeptanz. Schaut man etwas zurück in die Menschheitsgeschichte, so sieht man, dass es LSBTTIQ* Menschen schon immer gab, nur der Umgang der Gesellschaft damit hat sich immer wieder gewandelt, je nachdem welche Normen gerade angewandt wurden – und werden, denn in den westlichen Industriegesellschaften ist es primär das Heteronormativ, welches dann auch zum Problem wird. Das dies nicht so sein muss, zeigen andere Gesellschaftsformen und Kulturen. LSBTTIQ*, und Trans* Menschen im Besonderen, sind ebenso natürlich, wie cis und heterosexuelle Menschen.
Doch die Ausgrenzung und Unterdrückung versucht diese Bevölkerungsgruppe unsichtbar zu machen, weshalb nur wenig Wissen in der Bevölkerung vorhanden ist. Selbst in der Wissenschaft ist vieles noch unklar, da auch die Wissenschaft in diesem Bereich keinesfalls frei von Vorurteilen und gesellschaftlichen Normen ist. Das alles führt dazu, dass wir bis heute nicht wissen, wie groß der Anteil von LSBTTIQ* und trans* Menschen im Besonderen in der Bevölkerung ist. Manche glauben, es seien nur wenige trans* Menschen, denn sie hätten noch keine getroffen. Sie haben vielleicht noch keine bewusst getroffen, doch realistisch betrachtet werden sie welche getroffen haben, diese aber nur als solche nicht erkannt haben. Das Bewusstsein über trans* Menschen hat hier also eine Wahrnehmungslücke, die auch einen guten Grund hat, dazu gleich mehr.
Daher ist Sichtbarkeit, finde ich, so wichtig. Um zu zeigen, dass trans* Menschen existieren, dass es viele sind, überall, in allen Bereichen der Gesellschaft, dass trans* zu sein genauso normal ist wie cis zu sein, dass trans* zu sein kein tragisches Schicksal ist, sondern einfach nur eine der vielen Formen menschlichen Lebens.
Sichtbarkeit ist aber auch ein zweischneidiges Schwert. Unsere Gesellschaft hat leider nicht viel übrig für das „Andere“. Prof. Milton Diamond, US Amerikanischer Biologe und Aufdecker eines sexualwissenschaftlichen Skandals, der auch größere Bedeutung für die trans* Wissenschaft hat, formulierte es einmal treffend:
Nature loves variety,
society unfortunately hates it.
Was nicht der vorherrschenden gesellschaftlichen Norm entspricht, erfährt meistens Widerstand. Ständig Widerständen entgegen treten zu müssen, halten nicht alle Menschen beliebig lange aus. Es ist emüdend, eine ständige Anstrengung, ständiger Kampf um Selbstbehauptung. Die Sozialwissenschaften nennen es Minoritätenstress, der soziele Druck, dem sich Minderheiten, egal welche, tagtäglich ausgesetzt sehen. Sichtbar zu sein bedeutet, sich noch mehr solchem Stress auszusetzen. Manche trans* Personen halten dies recht lange aus, andere nicht. Viele trans* Personen erfahren diesen Stress ganz direkt im Rahmen ihrer Transition, für andere, vor allem nicht binäre trans* Personen, bleibt es ein lebenslanger Kampf.
Indem mehr trans* Sichtbarkeit hergestellt wird, kann ein wenig von diesem Druck genommen werden. Ganz beseitigen werden wir ihn wohl nie können, doch mit ein wenig abmildern wäre vielen Menschen bereits sehr geholfen. Denn dieser gesellschaftliche heteronormative Druck ist es schlussendlich auch der dafür sorgt, dass das Coming Out von trans* Menschen ein großer Kampf ist – mit sich selbst und im Anschluss mit dem Umfeld. Ohne Vorbilder und Role Model ist es zunächst der Kampf mit sich selbst um die Frage, warum fühle ich so? Warum scheinbar nur ich? Bin ich kaputt oder krank? Niemand außer mir ist so wie ich, ich bin einsam und alleine in meinem Fühlen, ich kann nicht einmal in Worte fassen, was mich bewegt und bedrückt, da mir die Sprache dazu fehlt. Wenn das alles fehlt, bin ich also falsch? Also zwinge ich mich dazu, mich einzufügen, mich anzupassen, um zu sein, wie andere es von mir erwarten. In der Folge bleiben trans* Personen eben unsichtbar, sie haben gelernt nicht aufzufallen und unterdrücken ihr wahres Selbst.
Für manche geht dies sehr lange einigermaßen gut, für andere nicht. Trans* Menschen sind überprotional suizidgefährdet – eine Studie in den USA fand eine zehnfach höhere Suizidalität unter trans* Jugendlichen (ca. 47% statt ca. 4,5% in der restlichen Bevölkerung). Glücklicherweise wird dies in den letzten Jahren etwas besser. Durch das Internet sind Informationen freier verfügbar, trans* Menschen können sich leichter finden und austauschen, trans* Menschen finden ihre Role Model und können Mut fassen, sie selbst zu sein.
Steigt der Anteil von trans* Menschen in der Bevölkerung dadurch? Das ist eine aktuell schwer oder eigentlich gar nicht zu beantwortende Frage, denn wir hatten noch nie irgendwelche verlässlichen Zahlen, auch heute nicht. Wir können lediglich beobachten, dass die Fallzahlen in trans* Sprechstunden, Beratungsstellen, Behandlungszentren etc. steigen, teils drastisch. In der trans* Ambulanz in Amsterdam wurden jährlich um den Faktor zehn steigende Fallzahlen beobachtet, in anderen Ländern ist dies ähnlich. Fast in gleichem Mass wie die Fallzahlen steigen, sinkt das Durchschnittsalter bei der Erstvorstellung.
Kritiker_innen sprechen von „sozialer Ansteckung“, einem „Hype“ oder gar „Modeerscheinung“. Stichhaltig begründen können sie diese These aber nicht, die nackten Fallzahlen geben das nicht her. Dennoch wird sogar von manchen Fachpersonen schon fast Panik geschürt und zu einem stark restriktiven Vorgehen aufgerufen, bishin zu psychotherapeutischen Versuchen zur „Aussöhnung mit dem Geburtsgeschlecht“ und sehr viel stärkerem Paternalismus und Gate-Keeping.
Zu allem Überfluss gesellen sich nun auch noch Feministinnen zu dieser Gruppe, die sogenannten TERFs – Trans Exclusive Radical Feminists, eine Prominente dieser Denkweise ist unter anderem J. K. Rowling, die dafür auch bereits einige Kritik hat einstecken müssen. Von diesen werden krude Gedankenmodelle ersonnen, wie „Frauen sind nur jene die gebären können“, was also allen unfruchtbaren Frauen ihr Frausein abspricht? Also der nächste krude Definitionsversuch „Frauen sind nur jene die menstruieren“, was natürlich der gleiche Unsinn ist. Begründet wird dies dann auch noch damit, dass angeblich gerade trans* weibliche Menschen der Versuch des Patriachats seien, exklusive Frauenräume zu unterwandern. Das geht bishin zur Unterstellung sexueller Übergriffe. So sollen trans* weibliche Personen doch nur als Frauen verkleidete Männer sein, um sich so Zugang zu Frauenräumen und damit zu ihren Opfern zu verschaffen. Fakt ist aber, dass trans* weibliche Personen überproportional oft Opfer von sexueller Gewalt durch cis Männer sind, sexuelle Gewalt von trans* Menschen gegen cis Menschen aber praktisch nicht aktenkundig ist.
Tatsächlich stehen wir durch jahrelange Unterdrückung und völlig unzureichende wissenschaftliche Erforschung von Trans* jetzt vor einem Phänomen, dass wir so schnell nicht erklären können. Was wir aber recht sicher konstatieren können ist, dass eine Kernursache für die Probleme und auch das Leiden von trans* Menschen die cis Heteronormativität unserer Gesellschaft ist. Was wir auch recht sicher wissen ist, dass trans* Menschen, sobald sie „der Blitz“ der Erkenntnis getroffen hat, nicht mehr aufzuhalten sind. Jedes Bremsen, Halten, „Versöhnen mit dem Geburtsgeschlecht“ etc. bringt nur unendliches Leid und Leiden.
Das ist leider keine besonders wissenschaftlich fundierte Erkenntnis sondern eher eine aus meiner Erfahrung aus einigen Jahren trans* Beratung. Für manche ist es ein langer Weg und Prozess bis dahin, andere trifft es wie besagter Blitz, die einen früher, andere später. Gemein ist jedoch allen, wie ich finde, sobald das eigene Ich einmal erkannt ist, wird jedes Hindernis auf dem Weg der Selbstwerdung zu einem Martyrium. Die allermeisten trans* Menschen mit psychischen Problemen die ich kenne, haben diese erst im Rahmen ihrer Transition entwickelt – oder kurz zuvor auf ihrem Weg zur Selbsterkenntnis. Entsprechendes zeigte auch eine Studie in Nordrhein Westfalen: die Suizidalität stieg vor und im Rahmen der Transition stark an.
Ziehen wir ein Zwischenfazit. Wir wissen, dass es trans* Menschen schon immer gab und geben wird, solange es Menschen gibt. Wir wissen nur nicht wieviele es sind, da viele, aus guten Gründen, nicht sichtbar sind. Wir wissen ebenfalls, dass das Unterdrücken des trans* Seins zu schweren psychischen Problemen bishin zu Suizid führt. Und wir wissen, dass es kein „Heilmittel“ gegen trans* gibt, nur eines, dass trans* Menschen sich selbst frei entfalten können müssen, um keinen schweren Schaden zu nehmen. Genau das sollten wir als Gesellschaft doch für unsere Mitmenschen wollen, ein Umfeld zu schaffen, indem jede_r nach ihrer_seiner Verfasstheit und Selbstdefinition sich verwirklichen und offen leben kann? Fordert dies nicht auch schon das Deutsche Grundgesetz in Artikel 2 Absatz (1)?
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Also was bleibt uns in dieser Situation?
Ich denke nichts anderes als bedingungslose Akzeptanz. Wir haben keinerlei stichhaltige Gründe für irgendetwas anderes. Trans* Menschen in ihrer Selbstverwirklichung und Selbstwerdung zu behindern ist, finde ich, ethisch nicht vertretbar. Es gibt keine objektivierbaren Kriterien für Dritte die Geschlechtsidentität eines Menschen zu bestimmen oder die Selbsteinschätzung einer Person zu überprüfen. Versuche scheitern regelmäßig und fördern nur die heteronormativen Vorurteile der Prüfer_in zu Tage. Da werden Steine in den Weg gelegt, weil eine Person angeblich nicht männlich oder weiblich genug auftritt. Ernsthaft?
In Ermangelung objektiver Kriterien können wir nur eines tun, den trans* Menschen glauben, sie akzeptieren wie sie sind und sie auf ihrem Weg, so gut es geht, zu unterstützen. Jede Infragestellung verbietet sich. Werden wir dabei Fehler machen? Natürlich! Wissensgewinnung war schon immer ein fehlerbehafteter Prozess. Manchmal hilft auch nur das Experiment, etwas wagen und probieren. Manchmal geht es gut, manchmal nicht, doch dann weiss man es wenigstens.
„Aber die Kinder!“ sagen die Mahner. Wenn es nur eine Phase ist, dann könnte man damit doch unumkehrbaren Schaden anrichten? Nein, kann man nicht. Das ist Schwarzmalerei. Ja, man kann nicht ausschließen, dass es vielleicht eine Phase sein könnte, wenngleich die Erfahrung zeigt, dass es das meist nicht ist. Doch viel wichtiger ist, dass bei trans* Kindern und Jugendlichen keine medizinischen Maßnahmen durchgeführt werden, die irreversibel wären – insbesondere keine Operationen. Hier wird also mit einem nicht belegten Horror Szenario argumentiert, eine Art Schock Argument, das eigentlich haltlos ist. Hat ein Ausleben und Experimentieren mit Geschlechterrollen langfristig negative Auswirkungen? Vermutlich nein, wir wissen es nur nicht, weil es in aller Regel nicht zugelassen wird. Wir wissen aber sehr wohl, dass das Unterdrücken Auswirkungen hat, nämlich stark negative. Also kann man, so bin ich überzeugt, auch hier nur sagen, Akzeptanz und Unterstützung ist deutlich hilfreicher, als Unterdrückung und Infragestellung oder gar Zwang.
Bereits erwähnter Milton Diamond hat in den 1990er Jahren einen sexualwissenschaftlichen Skandal aufgedeckt, den Fall des David Reimer: https://de.wikipedia.org/wiki/David_Reimer
Kurz zusammengefasst: Ein Arzt, Dr. John Money, versuchte an einem 22 Monate alten Kleinkind eine, hier muss man wirklich diesen sonst eigentlich falschen Begriff verwenden, eine Geschlechtsumwandlung. Der Versuch scheiterte tragisch, mit gerade einmal 38 Jahren beging das Opfer Suizid. Der Fall von David Reimer zeigt eindringlich, dass Geschlechtsidentität eben gerade nicht plastisch ist, sie ist nicht veränderbar und jeder Mensch hat eine. Welche dies ist, wie sie ausgestaltet und gelebt werden muss, ist individuell unterschiedlich und diese individuelle Ausgestaltung muss auch bedingungslos von Dritten akzeptiert werden.
Neben der persönlichen Tragödie von David Reimer hatte sein Fall noch weitreichendere Folgen. Trotz des eigentlich schon Jahre zuvor offenkundigen Scheiterns dieses abscheulichen Menschenversuchs propagierte Money erfolgreich dieses Experiment als Erfolg, dass Geschlecht veränderbar sei, formbar. In der Folge wurden seine Thesen unter anderem auch als Begründung und Beweis dafür herangezogen, geschlechtszuweisende Behandlungen und Operationen an intersexuellen Kindern vorzunehmen. Operationen und Behandlungen, die nicht zum Erhalt des Lebens dienten, sondern lediglich dazu, diese Kinder dem gesellschaftlichen cis Heteronormativ gefügiger zu machen. Diese Praxis wird heute glücklicherweise zumeist abgelehnt, leider aber noch nicht gänzlich und so kommt es noch immer zu solchen zuweisenden Operationen, oft auch auf Wunsch der Eltern, da diese von Ärzt_innen mit Schreckenszenarien dazu gebdrängt werden „Denken Sie doch an ihr Kind! Wenn wir das jetzt nicht machen, wird es nie ein ’normales‘ Leben haben!“. „Normal“, für wen? In 70er und 80er Jahren gab es, in der Tat, das ist kein Witz, ein „Gender’o’meter“, ein Meßgerät im Kreissaal, mit dessen Hilfe unter bestimmten Umständen das Geschlecht des Neugeborenen bestimmt werden sollte. Was war es? Ein Lineal! Damit wurde die Länge des Penis gemessen – lang genug, Junge, zu kurz, Mädchen. Viele Intersexuelle Menschen leiden jahrelang an diesen traumatischen Behandlungen und der Zwangszuweisung. Viele wissen viele Jahre gar nicht, was mit ihnen eigentlich los ist, da den Eltern von Ärzt_innen dringend geraten wurde, den Kindern nie zu erzaehlen, was da nach ihrer Geburt passierte – auch dies ist ein Teil von Moneys Theorien.
Bis heute sind solche Zwangszuweisungen ohne medizinische Indikation in Deutschland noch immer legal. Eine Schande. Gesetzesinitiativen dagegen gab es mehrere, doch passiert ist bisher leider nichts. Und so finden noch immer bis zu 2.000 solche Operationen pro Jahr in Deutschland statt.
Warum schreibe ich das alles? Meine Hoffnung ist, dass es eine Grundlage bereitet zu dem, was nun folgt und was ich selbst auch nur sehr schwer prägnant zu formulieren vermag. Es geht um die Darstellung von trans* in den Medien, um das Narrativ, der immer wiederkehrende roten Faden: „geboren im falschen Koerper“. Ich halte dieses Bild für falsch, denn es reproduziert lediglich das cis Heteronormativ – es gibt Mann und Frau und man ist entweder das eine oder das andere. Wir haben nur nie versucht in das Dazwischen zu schauen, diesen Raum zu öffnen und ein Sein in diesem zuzulassen. Indem wir die klassischen Rollenbilder von Mann und Frau reproduzieren und auch deren Erfüllung erwarten, setzen wir trans* Menschen unter genau diesen Erwartungsdruck. „Ja fein, Du bist trans*, also bist Du jetzt eine Frau, schminkst Du Dich und trägst Highheels?“, „Freust Du Dich auf das Brustwachstum durch die Hormone?“ „Wann ist denn _die_ OP?“.
Was, wenn die trans* Frau sich nicht schminkt? Keine geschlechtsangleichende Operation will? Keine Röckchen und Highheels trägt? Komischerweise wird von trans* Menschen fast schon eine Übererfüllung von Rollenklischees erwartet. Die Betrachtung von trans* Menschen wird reduziert auf Äußerlichkeiten, insbesondere auf die Körper von trans* Menschen. Trans* Menschen werden objektifiziert, es geht nicht um das Individuum, die Person und Persönlichkeit, sondern um das Befriedigen einer schier schaurigen Sensationslust. Männern schmerzt es schon bei dem bloßen Gedanken im Schritt. Es wird mehr danach gefragt, wie eine trans* Personen denn wohl nun die cis hetero Normen erfüllen kann, nicht wie es der Person damit erging oder geht. Stattdessen gibt es vorher-nachher Bilder: „Och, die geht ja doch ganz gut durch!“.
Doch um dieses „Passing“, also das Durchgehen als Mann oder Frau, geht es eigentlich nicht. Passing ist ein Begriff und Konstrukt, dass in den USA zur Zeit der Rassentrennung gebildet wurde, „passing as white“. Passing bedeutete und bedeudetet dort teils noch heute, Privilegien zugesprochen zu bekommen anhand von äußerlichen Merkmalen, damals die Hautfarbe. Im Bezug auf Trans* bedeutet „Passing“ Privilegien als ‚cis‘ anhand äußerlicher Merkmale zugesprochen zu bekommen. Im Umkehrschluss heisst dies aber, als trans* erkannt (gelesen, „clocked“) zu werden bedeutet, Rechte, Möglichkeiten und Privilegien zu verlieren. Und das ist genau das, was passiert und das eigentliche Problem ist.
Trans* Menschen, vor allem trans* weibliche Menschen, sind überproportional von Diskriminierung betroffen, verlieren zu über 50% ihren Arbeitsplatz und finden danach in der Regel nur noch unterqualifizierte Stellen bei schlechterem Lohn/Gehalt als zuvor und auch im Vergleich zu cis Kolleg_innen, viele bleiben dauerhaft arbeitslos. Trans* Menschen haben deutlich schwereren Zugang zu geschlechtlich getrennten Räumen, gerade zu Schutzräumen, bspw. trans* Frauen in Frauenhäusern. Trans* Personen haben keinen oder stark erschwerten Zugang zu bestimmten Bereichen der Gesundheitsversorgung, z.B. gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen bei trans* männlichen Personen oder Prostata Vorsorge bei trans* weiblichen Personen. Überhaupt haben trans* Personen überproportinal oft Hemmungen das Gesundheitssystem in Anspruch zu nehmen, weil sie dort immer wieder geschlechtsspezifische Diskriminierung erfahren.
Diese und viele weitere Probleme haben eine Ursache: ci Heteronormativität. Die Erwartung der Gesellschaft, alle Menschen in eindeutig Mann und Frau einteilen zu können und von diesen beiden auch bestimmte Eigenschaften erwarten zu können. Dieser gesellschaftliche Druck ist gewaltig!
Ich denke wir müssen uns daher fragen, wenn eine trans* Person bestimmte Angleichungen für sich in Anspruch nehmen möchte, macht sie dies aus einem intrinsischen innerem Antrieb? Oder ist es vielleicht eher ein internalisiertes Bedürfnis nach Passing? Wenn unsere Gesellschaft anders gestaltet wäre, würde dieses Bedürfnis vielleicht nachlassen? Ich bin davon überzeugt, dass es das würde. Es gibt keinen Naturinstinkt nach Lippenstift oder Stehpinkeln. Dies sind gesellschaftliche Rollenbilder und Erwartungen, die wir nur immer wieder reproduzieren, internalisieren und leider zu wenig hinterfragen.
Den Medien kommt hier eine bedeutende Rolle zu. Medien formen, heute viel stärker als jemals zuvor, die Wahrnehmung unserer Umwelt. Medien prägen uns, uns alle, ständig und nachhaltig. Einige Auswirkungen davon, gerade für trans* Menschen, untersucht ein wirklich empfehlenswerter Dokumentarfilm auf Netflix:
Disclosure
https://www.disclosurethemovie.com/
https://www.netflix.com/de/title/81284247
https://www.imdb.com/title/tt8637504/
Was macht es wohl mit einem trans* Menschen, wenn über 30 Jahre lang, fast eine Generation lang, trans* Weiblichkeit in Filmen mit Übelkeit und Erbrechen gleichgesetzt wird? Oder mit psychopathischen Sexualverbrechern (Das Schweigen der Lämmer)?
Daher denke ich, wir müssen aufhören über trans* Menschen zu berichten, wie sie geschlechtliche Rollenklischees erfüllen oder wie sie ggf. ihre Körper verändern. Was trans* Menschen mit ihren Körpern machen oder nicht, geht niemanden anderes etwas an, als sie selbst. Niemand würde öffentlich cis Personen danach fragen, wie sie ihren Koerper verändert haben. Wohl aber nimmt sich die Gesellschaft das Recht heraus, von trans* Personen Auskunft verlangen zu dürfen. Dabei ist es doch gerade die Gesellschaft die, so meine ich, trans* Personen erst zu vielen solcher Angleichungen treibt, um durch ein möglichst gutes Passing von der Gesellschaft cis Privilegien zurück zu erhalten.
Dies wäre mein Wunsch an die Medien. Wir müssen weg vom Narrativ der Angleichung an cis Normative hin zu einer trans* Akzeptanz. Medien sollten kritisch hinterfragen, wie unsere Gesellschaft Rollenbilder formt und welchen Druck dies auf Menschen allgemein und trans* Menschen im Besonderen ausübt. Medien sollten über die Auswirkungen von nicht Akzeptanz kritisch berichten, nicht nur in Bezug auf trans*, denn auch andere Minderheiten sind ebenfalls betroffen. Medien könnten die Vielfalt hervorheben, statt klischeehafter Bilder. Es ist wie eine Art Teufelskreis, den irgendjemand einmal durchbrechen muss – Medien wirken auf trans* Personen, trans* Personen wirken auf Medien.
Da wäre dann noch die Frage, kann das denn funktionieren? Das mit dem „falschen Körper“ ist so schön griffig, kann man das auch anders nahe bringen? Ja, ich denke schon. Es gibt einige gute Beispiele, wenngleich mir gerade eher fiktionale einfallen, z.B. „Her Story“:
http://www.herstoryshow.com/
Frei zu sehen auf YouTube:
https://www.youtube.com/channel/UCw2Mg0PoxZkAHAzDiabWr9A
Ein Schlüssel-Monolog ist darin für mich der Prolog zu Folge 4:
I had always thought myself firmly
on the progressive side of every issue,
but like too many in our community, I thought
my tacit acceptance of the reality of trans people was sufficient.
I never questioned their total absence from my world.
I now see that our great disservice is not just
to those we’ve excluded, but to ourselves,
for our world is less rich without their stories,
their laughter, their voices.
It’s less that the world has changed for trans people
and simply that we are seeing them, as people,
as our brothers and sisters,
our parents and children,
our colleagues,
even our friends.
Trans* Menschen sind in dieser Gesellschaft in der Tat unsichtbar, sie werden nicht wahrgenommen und an den Stellen, wo sie mal in Erscheinung treten, geht es hauptsächlich nur darum, wie sie es schaffen, sich anzupassen, also wieder unsichtbar zu werden. Es geht also primär in der Tat darum, trans* Sein auf den Prozess der Transition zu reduzieren. Ausserhalb dessen finden trans* Menschen keine Beachtung, sind unsichtbar, obgleich diese Episode nur einen verschwindenden Teil in ihrem Leben ausmacht.
Oder die großartige Serie „Sense 8“ auf Netflix:
https://www.netflix.com/de/title/80025744
https://de.wikipedia.org/wiki/Sense8
Oder doch etwas dokumentarisch, eine tolle Story Wall der New York Times:
https://www.nytimes.com/interactive/2015/opinion/transgender-today
Trans* Menschen erzählen selbst, was sie von sich erzählen möchten, nicht was cis Menschen von ihnen wissen wollen.
Oder die Dokumenataion mit Laverne Cox, „The T Word“:
https://www.imdb.com/title/tt4084240/
https://en.wikipedia.org/wiki/The_T-Word_(film)
sowie vieles weitere, was Laverne und Jen Richards so produziert haben.
Eine, wie ich finde, sehr gelungene Darstellung der völlig desolaten Situation von trans* und homosexuellen Menschen im New York der 1980er Jahre zeigt die Serie „Pose“ bei Netflix:
https://www.netflix.com/de/title/80241986
https://de.wikipedia.org/wiki/Pose_(Fernsehserie)
Also ich denke schon, dass es geht. Es ist anders, als das alte Narrativ, das sich so bequem in das Heteronormativ einfügen ließ. Es ist unbequemer, denn darin sind nicht mehr die trans* Menschen die Störer_innen einer vermeintlich naturgegebenen Ordnung, sondern es stellt sich heraus, dass trans* Menschen keine Revolution anzetteln wollen, keine Ordnung umstürzen, sondern einfach nur ungestört ihr Leben leben wollen. Es ist unbequem, denn es dreht sozusagen Täter und Opfer um. Nicht mehr die trans* Personen tun etwas gegen die Gesellschaft und bedürfen der Absolution durch die Gesellschaft. Es ist vielmehr die Gesellschaft, die etwas gegen trans* Menschen hat und die damit den Spiegel vorgehalten bekommt. Das tut weh, sicherlich, doch es ist nötig.